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BeitragVerfasst: Mittwoch 16. Juli 2008, 01:26 
Tesserarius
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Somit haben wir jetzt die Definitionen von LARP und Museumspädagogik (zweiteres leider ein wenig untergangen, ich habe mir erlaubt es farblich hervorzuheben (Marion 08.07.2008 10:57).

Ich bin so dreist und addiere bzw. betone noch zwei, wie ich finde, wichtige Unterpunkte:
LARP versteht sich als Hobby und Freizeitbeschäftigung, erhebt keinerlei wissenschaftlichen Anspruch und führt seine Existenz nicht auf eine Fachwelt, höchstens die der Literatur, in den meisten Fällen der sog. Trivialliteratur zurück.

Museumspädagogik ist ein Arbeitfeld für (z.T. spezialisierte) Pädagogen und Fachleute bestimmter Bereiche und kann sich nicht nur auf deren Arbeit sondern auch die von Verbänden und Vereinen berufen. Das Ziel ist Vermittlung & Bildung.


Außerdem behandelte Andreas in seinem Beitrag 07.07.2008 08:01 Heritage Interpretation, First Person und - Archäotechnik, mit einem Verweis auf eine Literaturliste.

Sachbezogene, fachliche Definitionen von Replik und Rekonstruktion lieferte Susanna am 07.07.2008 07:52
Diese decken sich mit den Definitionen, die sich bereits in Einführungswerken zur Archäologie finden lassen, bspw. im sog. Hölscher oder dem Wörterbuch Archäologie.

Steve führte dagegen am 06.07.2008 seine eigenen Definitionen dieser Begriffe aus, und am 06.07.2008 10:10 zitierte er Wulf Hein zur Archäotechnik.

Einen Anriß und nach eigenem Eindruck definierte Strategos LARP, Reenactment und Living History am 06.07.2008 10:14
wobei ich einiges seiner Definition in den späteren, ausführlicheren Definitionen Wiederfinde.


Bislang links liegen gelassen: experimentelle Archäologie.
Prof. Fansa hat dazu eine recht ausführliche Definition geschrieben: http://www.uni-kiel.de/cinarchea/text/exparch-d.htm
Daraus möchte ich Stichpunktartig herausheben:
- Die experimentelle Archäologie beschäftigt sich mit der Rekonstruktion von vorgeschichtlichen Lebensverhältnissen, aber nicht jede Rekonstruktion ist ein Experiment, sondern jedes Experiment führt eventuell zu einer Rekonstruktion.

Hierbei sind zwei Einschränkungen zu beachten: es gibt auch Experimente die sich mit "historischer" Zeit, also außerhalb der mit Vorgeschichte umfassten Zeitspanne befassen.
Zudem ist die Betonung auf "eventuell" zu sehen.

- Die experimentelle Archäologie arbeitet naturwissenschaftlich, systematisch und unter kontrollierten Bedingungen auf der Grundlage der archäologischen und historischen Quellen.
- Sie verwendet dazu Meßinstrumente & Dokumentationsmedien, vor allem auch Bild- und Filmaufnahmen, je nach Aufgabenstellung auch Tonaufnahmen.
- Das Ziel jedes Experimentes muß vorher genau definiert sein, liegt im archäologischen Bereich und liefert annähernde Informationen zur Weiterbearbeitung
- Versuche müssen wie gesagt messbar, wiederholbar, dokumentierbar sein, und können nur interpretiert werden unter dem Bewußtsein, dass die Ergebnisse i.d.R. nicht exakt sind und keine eindeutigen Beweise liefern können.
- Zu bedenken sind neben der Quellenkritik und den voraussgehenden wissenschaftlichen Analysen am Befund auch die Forschungsgeschichte sowie der Kulturanspruch.
- Ziele der Forschung sind Herstellungsabläufe zu untersuchen, Arbeits- und Energieaufwand festzustellen, Enstehungsgeschichten von Befunden zu analysieren sowie chemische und physikalische Prozesse von archäologischem Interesse zu beleuchten.


Wichtig sind folgende Abschnitte, ich zitiere daher vollständig:
Zitat:
Um einige Experimente in ihren Abläufen nachvollziehbar, wurden in der Ausstellung museumspädagogische Vorführungen von bereits geklärten Experimenten eingesetzt. Es handelt sich also um die Wiederholung von Vorgängen, die schon zu einem Resultat geführt hatten. Fälschlicherweise wird die Tätigkeit der Museumspädagogen mit experimenteller Archäologie verwechselt.

Museumspädagogik und experimentelle Archäologie ist ein komplizierter Bereich. Das Nachmachen oder besser Nachvollziehen von wissenschaftlichen Experimenten ist legitim und wichtig als Mittel der Museumspädagogik, denn schließlich geht es darum, wie man historischer Realität näher kommen kann. Im Nachvollziehen von Experimenten macht jeder seine individuellen Erfahrungen und das wird vielleicht immer wichtiger, wenn man dem üblich gewordenen oberflächlichen Vermarkten von Geschichte gegenhalten will.


Prof. Fansa definiert hier also nicht nur experimentelle Archäologie sondern legt die Vorführung solcher Experimente als Museumspädagogik aus, keine Einschränkung findet sich in Hinsicht auf die weitere Verwendung der entstandenen Produkte nach einem Herstellungsversuch. Diese können unter bestimmten Bedingungen für weitere Experimente ebenso verwandt werden, wie sie als Ausstellungsstücke genutzt werden können (s. die Versuche rund um römische Flußschiffe).

Zur Archäotechnik möchte ich hinzufügen, dass der Begriff bereits früher, wie Wulf Hein selbst zustimmt, an einer Universität synonym für Grabungstechniker verwandt wurde.

Zu den Begriffen Reenactment, Living History und Living History Interpretation sowie Geschichtstheater empfehle ich die Lektüre des Büchleins "Geschichtstehater" von Wolfgang Hochbruck.
Wer es nicht hat oder erreichen kann meldet sich bitte per PN.


Hervorzuheben bleibt:
Experimentelle Archäologie etabliert sich als Bereich der Archäologie. Die Bedingungen die es mit sich bringt lassen dies nur als direktes Arbeitsfeld von Fachpersonen und deren Hilfskräften zu.

Reenactment ist ein Hobby, welches mit dem Darstellen und Selbsterleben historischer Ereignisse definiert wurde, im Laufe der Zeit aber "aufgeweicht" wurde und nun auch Ereignisse nur "typologisch" ähnlich wiedergebenen.
Der Begriff ist weder gesichert noch eingetragen noch als Berufsfeld durch Berufsbezeichnungen gesichert.

Gleiches gilt für Living History. Es handelt sich um ein Hobby, welches keine konkreten Ereignisse sondern, wie Strategos umschrieb, allgemeine Umstände wiedergibt. Da sich beide Bereiche aufgrund ihrer weichen, nicht gesicherten Definitionen schneiden werden sie oft Deckungsgleich verwendet.
Living History bietet sich denn auch als Hilfsmittel für die Museumspädagogik an.
Der Begriff ist weder gesichert noch eingetragen noch als Berufsfeld durch Berufsbezeichnungen gesichert.

Museumspädagogik s.o.

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Wer war froher als Neanth, da er sich Meister von diesem wundervollen
Instrumente sah, wodurch er, ohne das mindeste von der Musik zu
verstehen, der Erbe des Talents eines Orpheus zu sein glaubte! - Lukian

Tib. Gabinius Primus
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BeitragVerfasst: Sonntag 27. Juli 2008, 17:44 
Togatus
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Hallo
ich möchte das von Tobias angeschnittene Thema der fehlenden gesicherten Definitionen von Living History und Reenactment aufgreifen. Dieses Fehlen von klaren Definitionen und damit auch von klaren Grenzen kann man meiner Meinung nach nicht oft genug betonen.

Insbesondere da es in den Reihen der Darsteller Tendenzen dazu gibt, "Living History" als eine Art Qualitätsmaßstab für die eigene Darstellung mißzuverstehen, etwa nach dem Motto "böses Marktmittelalter/gute Living History fürs Museum".

Tatsächlich gibt der Begriff im englischen Sprachgebrauch eine solche Differenzierung gar nicht her, denn Living History ist hier häufig nicht mehr als ein Sammelbegriff für inhaltlich sehr unterschiedliche Zeitphänomene vom Anbau alter Kulturpflanzen bis hin zu Junckelmanns legendären Marsch über die Alpen.

Dazu einige Beispiele für Definitionen von Living History usw. aus der amerikanischen Literatur, zitiert nach dem Vortrag "Effektive Techniken der Historischen Interpretation" von Dipl. Theol. Ingo R. Glückler, M.A. (LIS), M.Th. (Abdn.) für die Staatlichen Gärten und Schlösser Baden-Württemberg vom 5. April 2000:

Zitat:
Living History, zusammen mit Film und Fernsehen sind das öffentliche Gesicht der Geschichte. Eine der größten Herausforderungen bei der Beschreibung von Aktivitäten im Rahmen der "Living-History" ist die Abwesenheit genau definierter Terminologie. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man bei zwei Autoren, die Techniken beschreiben, die unter dem Begriff "Living History" subsumiert werden, verschiedene Definitionen findet. Ich versucht heute Definitionen zu finden, die von den "Interpreters"/Interpretierern selbst benutzt werden.

Museen, historische Stätten und Märkte kommunizieren mit ihren Besuchern auf verschiedene Weise:

durch Ausstellungsstücke,
Multimediaprogramme,
Sonderveranstaltungen,
Brochüren/Flyer und Bücher,
Tafeln,
Führungen, und
seit den letzten 30 Jahren (1960 Plimouth Plantation) durch "Living-History-Interpretation".

Jay Anderson (1991) hat den Begriff "Living History" folgendermaßen definiert:

"Die Simulation des Lebens einer anderen Zeit mit dem Ziel ihrer Erforschung, Interpretation, und/oder theatralischen Wiedergabe."

English Heritage (1997) definiert Living History:

"'Living History' ist die möglichst genaue Beschreibung der Vergangenheit unter den Limitierungen des 20igsten Jahrhunderts (e.g. Sicherheit der Zuschauer und Darsteller und der ruinöse Charakter verschiedener historischer Stätten."

D. Luckhard (1999):

"'Living History' ist der Versuch in der Vergangenheit zu leben. Das kann sowohl vor der Öffentlichkeit als auch zur privaten Unterhaltung getan werden. Das heißt nicht, dass man unbedingt die exakten Lebensbedingungen der Vergangenheit wiederherstellen muss, wie sie von Primärquellen überliefert werden, sondern eher nur einen historischen Aspekt der entsprechenden Zeit."

Alison Roberts-Roddham (2000):

"Ein Hilfsmittel, mit dem Historiker ihre Theorien testen können."

Im weitestgehenden Sinn ist "Living History" also alles das, was eine Verbindung der Gegenwart mit der Vergangenheit hervorruft; dazu gehören auch e.g.:

Kultivieren von Feldern mit längst vergessenen Pflanzen,
Singen von Liedern, die man von der Großmutter her kennt,
Nachstellen von Schlachten,
Mit Römersandalen durch die Alpen ziehen,
Sammeln von Oldtimern,
Nachkochen alter Rezepte, etc..

Der Begriff "Living-History" subsumiert eine Reihe von grundlegenden Methoden, die in der Regel in einer Kombination auftreten:

First-Person-Interpretation,
Third-Person-Interpretation,
Kinderprogramme,
Musikprogramme,
Storytelling-Programme/Geschichtenerzählen,
Re-Enactment,
Modellprojekt: Heidelberger Schloss.

Absicht der verschiedenen Methoden ist die Wiederbelebung der vergangenen materiellen Kultur, Technologie und Verhaltensweisen. Auf Seiten des Veranstalters (Museum/"Living History"-Einrichtung) steht der pädagogische Aspekt im Vordergrund. Auf Seiten des Besuchers finden sich verschiedene Gründe für das Interesse an "Living History". Dabei lassen sich folgende Gründe islolieren:

Lehrer und Schüler wollen das in der Schule Vermittelte und Gelernte anhand praktischer Anschauung komplementieren,
Familien und Kinder suchen Entertainment/Unterhaltung und Bildung,
Gefallen an historischer Umgebung und Bausubstanz,
Suche nach authentischer emotionalen Erfahrung,
Eintauchen in die Vergangenheit,
Aus nostalgischen Gründen, purem Interesse oder nur um neue Erfahrungen zu sammeln.

Jede der genannten Methoden bedarf einen oder mehrere "Interpreters"/Interpretierer. Freeman Tilden (1957) definiert "Interpreter"/Interpretierer folgendermaßen:

"Eine oder mehrere Personen, die materielle Kultur und menschliche oder natürliche Phänomene für ein Publikum interaktiv in einer aussagekräftigen, provozierenden und interessanten Weise in einer historischen oder simulierten Umgebung übersetzen."

Es gibt hauptberufliche Interpretierer, sog. Freiberufliche oder Unabhängige Interpretierer ("Freelancer") und Re-Enactor.

Hauptberufliche Interpretierer sind feste oder temporäre Angestellte von Museen und historischen Stätten. Meist Schauspieler mit staatlicher Schauspielausbildung.

Freiberufliche ("Freelancer") oder unabhängige Interpretierer sind einzelne Personen oder Personenguppen, die mit Museen, Schulen oder anderweitigen Organisationen - freiberuflich oder durch Agenturen vermittelt - unter Vertrag stehen. Viele freiberuflichen Interpretierer kommen aus der Museumsarbeit, andere vom Theater, der Lehrtätigkeit, dem Re-Enactment, etc.. Sie bieten ihren Service an für Schulen, Bibliotheken, Versammlungen, Festivals, historische Stätten, Werbung, öffentliche Veranstaltungen - "History for hire" wo auch immer gewünscht!

Der Begriff "Re-Enactor" beschreibt diejenigen Personen, für die "Living History" sowohl Leidenschaft als auch Erholung ist. In der Regel gehört dieser Personenkreis zu nachgebildeten militärischen Einheiten oder zivilen Gruppen, die historische Simulationen in Camps oder innerhalb einer umschlossenen Örtlichkeit veranstalten.


Dieses völlige Fehlen einer scharfen Begriffsdefinition trägt m. E. erheblich zu den Problemen bei, die in der deutschen Museumslandschaft, aber auch in der Szene existieren.

Um zu einer schärferen Begriffsfassung sowie zu der Einbindung von Living History als Beitrag zur Bildungsarbeit/Museumspädagogik beizutragen habe ich deshalb vor etwas mehr als acht Jahren mit der "living history mailing-list" einen Versuch ins Leben gerufen, Mittelalter-Darsteller für eine besucherorienterte Living History zu gewinnen (nähere Informationen in A. Sturm: Die living history mailing-list auf "www.karfunkel.de/www.tempus-vivit-net". Karfunkel 30, 2000, 75-77).

Leider war der mailing-list damals kein großer Erfolg beschieden. Zwar trafen sich einige Enthusiasten auf zwei von mir veranstalteten Arbeitstreffen 1999 und 2000 und lernten dort Ingo Glücklers gerade zitierte Arbeit kennen; und wir diskutierten auch sehr wichtige und sensible Themen wie z.B. die Gewaltdarstellung oder auch eine besucherfreundliche Lagergestaltung. Das Interesse der Mittelalter-Szene insgesamt an einer besucherorientierten Living History blieb damals aber sehr gering.

Allerdings freue ich mich, dass die Arbeiten von Ingo Glückler, der die Techniken der Heritage Interpretation in England selbst kennengelernt hat, mittlerweile in die Forschungen von Prof. Hochbruck in Freiburg eingeflossen sind (W. Hochbruck, Geschichtstheater: Dramatische Präsentationen historischer Lebenswelten. Schriftenreihe der Geschichtstheatergesellschaft 2 (Remseck a. N., 2005) 30).

Das macht mir Hoffnung, dass Living History als Medium doch noch irgendwann in Deutschland größere Beachtung finden wird und die schwammigen Begriffe, mit denen wir bisher operieren müssen, in der zukünftigen Literatur mehr an Schärfe gewinnen.

Beste Grüße,

Andreas

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Heritage Interpreter und Autor


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BeitragVerfasst: Montag 28. Juli 2008, 18:52 
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Können wir ein Thema gestalten hierfür?

Etwa den Abschnitt "Fachliches Handwerkszeug", "Fachsimpelei"...was weiss ich... :eyes: :?

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BeitragVerfasst: Montag 28. Juli 2008, 20:02 
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Gute Frage Susanna!
Ich fände ein Unterforum zu diesem Thema hilfreich.
Meine Stimme hast du.
Titelvorschlag:
Fachliche Grundlagen und Definitionsfragen.

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Publius Militates sine Cognomen
Legio Comitatenses Minervii
c/o Patrick Stritter

erst denken, dann schreiben!


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BeitragVerfasst: Montag 28. Juli 2008, 22:56 
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Hej zusammen,

ich weiß, es ist vielleicht nicht die feine Art, als ersten post eine suada zu führen, aber ich glaube, keiner nimmt mir ein paar Worte zum Thema Archäotechnik übel.
Andreas, wenn Du die Definition des Begriffes auf das Erproben von Technik herunterbrechen willst, bist Du wieder beim Experimentalarchäologen. Ich habe den Begriff Archäotechnik damals bewusst gewählt, weil beim Vermitteln von Geschichte mein Schwerpunkt auf Technikvorführungen liegt. Aber ich hätte keine Lust, 8 Stunden in der Sonne zu sitzen, Pfeilspitzen aus Flint herzustellen und den Mund allenfalls mal zu öffnen, um jemanden aus dem Licht zu bitten oder eine Pause anzukündigen. Nach meiner Überzeugung kann man Vorgeschichte fast nur über Technik vermitteln, der metaphysische Bereich erschließt sich uns ja doch nur in Kleinstmengen. Und selbst da herrscht Uneinigkeit in der Fachwelt. Ich laufe eben nicht im ranzigen Fuchsfell mit Schnürlederjeans aufm Volksfest rum, schlage die Schamanentrommel, die ich auf einem Egoterikseminar in Castrop-Rauxel selbst gebastelt habe, und brumme Uga-Uga dazu. Ich laufe überhaupt (fast) nie im Fellkostüm rum, weil schon das gesponnen ist. Sondern ich arbeite bei Vorführungen an etwas und berichte darüber. Denn das wollen die Leute sehen, und sie wollen auch was dazu hören. Dazu benötige ich aber kein Medium außer mir selbst, vielleicht bei einer Modenschau, das will ich gelten lassen. Die "museumspädagogische Arbeit" brauche ich nicht auf die Archäotechnik draufsatteln, der Sattel ist schon drauf, ist Programm, denn die Museen, die Museumspädagogen fordern mich ja an, als Experten für etwas, was sie - bei allem Engagement - selbst nur sehr selten leisten können.
Ich hätte meine Tätigkeit auch anders nennen können, aber dieses Wort ist mir eingefallen und ich finde, es trifft zu. Ihr aus dem schriftlichen Epochen habe es gut, Ihr könnt weitaus mehr first person, third person usw. anwenden, Theater spielen, in der Steinzeit kommt das wirklich nicht gut, es sei denn man hats drauf und erzeugt edukative Illusion, ohne albern zu werden. Ich kann Geschichte nicht lebendig machen, und ich werde mich hüten..., aber ich kann Geschichte lebendig rüberbringen. Ich bin kein Museumspädagoge, sondern gelernter Tischler mit einem ausgefallenen Interesse, ich bin kein Archäologe, kein experimenteller auch nicht , zumindest nicht öffentlich. Vielleicht trifft es Interpretor ein bisschen, aber das klingt mir (für die Faustkeilabteilung) doch unpassend.
Und der Begriff hat sich ohne mein Zutun verselbständigt, inzwischen nennen sich Leute Archäotechniker ....ich spars mir.

Tobias, ich habe nichts und niemandem zugestimmt. Ich habe auf der FAT-Seite erklärt, dass in Tübingen die Bezeichnung Archäotechniker ebenfalls, aber als Bezeichnung für einen Ausbildungsgang verwendet wird. Meine erste Rechnung mit dem Briefkopf Archaeo-Technik habe ich Ende Februar 1999 gestellt. Wer von uns beiden zuerst auf den Begriff gekommen ist, konnten Prof. Müller-Beck und ich nie klären, es ist uns beiden auch pupegal. Zuerst erwähnt hat sowieso, wie ich neulich beim rumgooglen rausgefunden habe, den Begriff R. Gantenbrink 1994 in einem Interview mit der Berliner Zeitung.

Und vielleicht magst Du, Tobias, mir dann bitte (gern in Deinem Forum und nicht bei chronico) erklären, was Dich an dem Begriff "Selbstreinigung" im Bezug auf "Szene"interne Reaktionen auf - sagen wir - unerwünschte religiöse, ideologische Bestrebungen, Beliebigkeiten, Unreflektiertheiten sprachlos macht? Ich glaube nicht, dass wir globale Lösungen für dieses in meinen Augen schwerwiegende Problem durch Kontrollen, Labels, Zertifikate (von welcher Instanz?) erreichen werden. Wie und auch wann soll es sonst gehen, außer auf der Veranstaltung abends am Feuer, wenn die Arena geräumt ist, auf den Vereins-, IG, Forentreffen, Tagungen, im kleinen Kreis, epochenweise, was weiß ich. Es kommt ja doch nun kein Liktor aus dem Off, fasci sind ja das Problem, die Auseinandersetzung müssen wir selber führen, und die Museen müssen ihren Teil dazu beitragen. Die Aachener Erklärung ist sicherlich gut gemeint und honorig, sie reicht mir persönlich aber nicht aus, denn die Unterzeichner haben unterzeichnet, mehr aber auch nicht.

Allseits guten Abend wünscht
Wulf


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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 10:16 
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Zur Ergänzung:
http://www.federseemuseum.de/index.html ... -live.html

"Archäotheater" und "Geschichtstheater" liegen ja gar nicht so weit auseinander.
Ein Begriff für szenische Vorführungen schriftloser Kulturen, ein Begriff
für die szenische Darstellung der Kulturen, welche Schriftquellen hervorgebracht haben.
So als Idee...

Desweiteren:
Mir erschließt sich allerdings noch nicht so ganz warum "experimentelle Archäologie"
nur dann als solche anzusehen ist, wenn kein Publikum dabei ist.
Das würde ja ein Novum bei Experimenten im Chemieunterricht bedeuten.

Und:
Es wäre schön, wenn es eine Literaturliste geben würde, die Monographien etc.
zusammenfasst, die sich mit diesen Begriffsthematiken beschäftigen.

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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 10:35 
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Oi Wai, das Federseemuseum spricht hier wieder eine andere Sprache â€" eine MarketingSprache, wie sie bereits am MittelInitial deutlich zu erkennen ist.

Ich denke, es ist dieser Punkt, an dem hier die meisten Missverständnisse kollidieren: verschiedene Leute nutzen verschiedene Sprachen, die gleiche Begriffe nutzen und jeweils intern unterschiedliche Bedeutungen tragen.

- Wissenschaftlicher Code; verwendet von Museen, Wissenschaftlern und dem akademischen Umfeld. Hier ist Experimentalarchäologie ein gesetzter Begriff, der klar umrissen und definiert ist. Ein Begriff wie "Living Historian" ist schemenhaft umrissen, "Reenactor" unklar bis negativ beladen (Kostümverein).

- "Szene"-Code, oder populärwissenschaftliche Sprache. Einerseits durchsetzt von Fachtermini wie Gattungsbegriffen römischer Waffen oder Fibelformen, andererseits durch die Medien geprägt (Sandalenfilme, Germanenmythen); keine Scheu vor der Kreation von zu Faktoiden werdenden Substituten wie das "Sin-Dex-Sin" beim Marsch.

- Marketingcode. Vielleicht der schwierigste von allen, weil er sich aus allen anderen Sprachen bedient und obendrein neue Worte bildet (manche mit Mittelinitial ;)), obendrein ist er der schnellsten ständigen Entwicklung unterworfen. Vermutlich ist diese "Verkaufe-Sprache" sogar Grund allen Unheils, weil sich aus Verkaufsgründen Reenactors als Experimentalarchäologen bezeichnen, obwohl es ihnen um Selbsterfahrung geht; nicht zuletzt aber auch deshalb, weil Museen hilflos auf Marketingsprache zurückgreifen, wenn sie irgendwas verscherbeln wollen (siehe die Rede des "Flavius" im Video des Museums Kalkriese).

Es wird uns nicht gelingen, diese Sprachen zu entwirren, aber es wäre schon ein Fortschritt, diese Sprachen zu erkennen, wo sie genutzt werden.

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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 11:08 
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@ Susanna

ab dem Moment, wo Experimente zu archäologischen Fragestellungen von dem ganzen Bereich des Ausprobierens, Erfahrungsammelns usw. abgetrennt und wissenschaftlichen Standards unterworfen wurden, konnten sie nicht mehr vor Publikum durchgeführt werden, denn nach der Definition eines wissenschaftlichen Versuchs sind Ablenkungen der Experimentatoren auszuschließen, weil sie zweifelsohne das Ergebnis des Versuchs beeinflussen würden. (siehe dazu P. Richters Beitrag in der ExpArch-Bilanz, siehe Liste unten) Nehmen wir ein Experiment zum Bronzeguss an: Hierbei ist höchste Konzentration und eine genaue Einhaltung aller Versuchsparameter erforderlich. Der/die ExperimentatorIn könnte nicht gut nebenher noch Fragen aus dem Publikum beantworten. Selbst wenn diesen Part ein/e am Versuch unbeteiligte/r Kollege/in übernehmen würde, bliebe die Ablenkung durch Zwischenrufe, Geräuschkulisse, die Sicherheitsabsperrung überkletternde Kinder und Erwachsene usw. bestehen. Ein wissenschaftlicher Versuch sollte zudem unter denselben Bedingungen wiederholbar sein, man müsste also zum nächsten Versuch das Publikum von vor zwei Jahren wieder herbeischaffen....
Im Chemieunterricht ist ja der Ablauf des Versuchs bereits vorgegegeben, es geht hier ja in der Regel um eine Vorführung einer bekannten Reaktion. Trotzdem geht immer mal wieder was schief, wenn nicht akribisch gearbeitet wird.


Ulfr


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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 11:17 
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@Wulf: Ich habe deine Literaturliste mal verschoben in den anderen Threat...
dann könnte man sie hier wieder löschen.
Danke!

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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 12:41 
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Die Sprache macht es...danke, Jan!

In der Regel wird zwischen Experiment und Test unterschieden.
Im Bereich der Archäologie ist mir hingegen kein "Archäotest" bekannt,
vielmehr werden alle Versuche/Tests/Experimente anscheinend meistens
unter "Experimentelle Archäologie" zusammengefasst.
(Ausgenommen hiervon ist die "Archäometrie" und ihre Methoden.)

Hier müsste man also ansetzen dies gleich zu tun oder vielmehr
zu überlegen inwieweit man Begriffe aus den Naturwissenschaften
mit einfließen lassen will und kann.

@Wulf: Ich bin mir durchaus bewusst, wie lange die Diskussion schon
läuft, aber ich finde es wichtig, Begriffe und Definitionen dann zu überarbeiten
oder zu ergänzen, wenn diese aufgrund neuer Entwicklungen
eventuell nicht mehr ausreichend sind.
(Unsere Umgangssprache tut dies automatisch.)
und:...Ich glaube zu verstehen, wo du hinwillst. Ich sehe ein ähnliches Problem bei Veranstaltungen.

*Without fish, but with a beer.* ^^ :wink:

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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 12:58 
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Susanna hat geschrieben:
@Wulf: Ich habe deine Literaturliste mal verschoben in den anderen Threat...
dann könnte man sie hier wieder löschen.
Danke!


Ja, Du warst schneller als ich, hatte gerade alles kopiert und wollte es dort einstellen.
Kannst es löschen bitte.

Wenn sich die sprachlichen Anforderungen geändert haben sollten - was ich nicht sehe - dann würde ich dafür plädieren, kollektiv neue Begriffe zu definieren, anstatt existierende umzudeuten, das vergrößert das Chaos eher, als es zu beseitigen.

Ulfr

*No beer allowed right now :( , gimme de fish ^^*


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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 18:02 
Tesserarius
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Vorneweg Wulf. Ich kenne dich nicht persönlich, habe kein Problem mit dir als Person noch soll dies ein Personenstreit werden.
ABER: ich habe ein massives Problem mit Begriffsentfremdung und Tendenzen wie sie z.B. gerade bei Meldungen diskutiert werden.


Zitat:
Andreas, wenn Du die Definition des Begriffes auf das Erproben von Technik herunterbrechen willst, bist Du wieder beim Experimentalarchäologen. Ich habe den Begriff Archäotechnik damals bewusst gewählt, weil beim Vermitteln von Geschichte mein Schwerpunkt auf Technikvorführungen liegt.


Wie u.a. von Prof. Fansa, Prof. Hochbruck, Dr. Junkelmann u.v.a. publiziert steckt da deutlich mehr hinter der Exp.Arch. als Rekonstruktion
Nur "in der Sonne zu sitzen und Spitzen herzustellen" ist weit entfernt von einem Experiment. Im besten Falle ist das Rekonstruktion. Der kategorische Ausschluß von Publikum oder der Kommunikation mit diesem ist abzulehnen, da eine Erläuterung eines Experimentes dieses nicht seines Charakters beraubt, außer wenn das Publikum den Ablauf stört, was in der Archäologie in der Regel nicht der Fall ist.
Andernfalls wäre lehren und forschen in den chemischen und physikalischen Wissenschaften, wie Susanna schon schrieb gar nicht möglich. Ein Experiment definiert sich durch die fachliche Behandlung desselbigen und seinen naturwissenschaftlichen Methoden. Nicht durch Präsenz oder Abwesenheit. Die meisten Vorführungen in Museen erfüllen schlicht die Standarts nicht, und sind darum eben keine Exp. Arch.

Zieht man den Bestandteil der Vorführung und Präsentation raus, bleibt von der sog. "Archäotechnik" also nur die Rekonstruktion und macht man dabei Abstriche landet man schließlich bei Handwerk. Handwerksvorführungen gibt es nun, ob mit oder ohne Interpretation, dutzendfach und seit Jahrzehnten, ohne dass die Notwendigkeit entstand dafür einen neuen Namen zu kreieren. Sieht man nun die Verwirrung der zuständigen Museumsabteilungen, die dann gerne wieder auf Exp. Arch. zurückgreifen wollen, so ist ein Hinweis auf die Dimensionen dieses Begriffes sicher angebracht, hochgreifende Neuschöpfungen empfinde ich als geradezu unangebracht. Sie erwecken nur den Eindruck einer Qualifikation, die aber keineswegs in irgendeiner Form damit garantiert werden kann.
Das dagegen stehende Argument langer Berufspraxis und kontinuierlicher Buchung will ich gar nicht groß besprechen, nur darauf verweisen dass bei mangelnden Alternativen, falschen Eindrücken und Ausnahmen von der o.g. Regel dies ebensowenig überraschend ist, wie im Fall von Lehrern und Professoren, denen vermittelndes Geschick eigentlich fehlt, die aber trotzdem weiter im Lehrbetrieb aktiv sind.
Ein momentan naheliegendes Beispiel bietet dabei die Wertevermittlung. Öffentlich bspw. zu schreiben "Wenn schon Pfeilbogenschießen, dann auf die Besucher." disqualifiziert in meinen Augen vollkommen.

Zitat:
Die "museumspädagogische Arbeit" brauche ich nicht auf die Archäotechnik draufsatteln, der Sattel ist schon drauf, ist Programm, denn die Museen, die Museumspädagogen fordern mich ja an, als Experten für etwas, was sie - bei allem Engagement - selbst nur sehr selten leisten können.

Huhn oder Ei. In diesem Fall eben Huhn (Echsen und Vögel...). Es wurden schon Theorien bzw. handwerkliche Demonstrationen und Dienstleistungen präsentiert, ob in oder ohne entsprechende / weniger entsprechende Bekleidung, als der Begriff "Experimentelle Archäologie" noch nicht rundging oder diese Benennung "Archäotechnik" aufgelegt wurde (ob nun von dir oder jemand anderem, die Verbreitung fällt jedenfalls doch recht stark dir zu). Sie wurden in der Museumspädagogik eingesetzt wie sie auch auf vielen anderen Veranstaltungen vorgeführt wurden. Wie gesagt sehe ich das Problem einer fehlerhaften Verwendung von Begriffen ebenfalls kritisch, aber ich sehe nicht den Grund für eine Neuschöpfung die einen so falschen und profilierenden Eindruck erweckt. Alternativen boten und bieten sich aus dem englischsprachigen Raum (obwohl ich sonst kein Freund von Anglizismen bin, aber die hier angesprochenen Vorführungen und Rekonstruktionen haben dort eben eine beständigere Tradition als bei uns), oder schlichte Umschreibungen, etwa die "lebendige Archäologie". Die Bezeichnung "Handwerker / Darsteller / Tätiger im Bereich der lebendigen Archäologie" vermittelt denn auch keinen falschen Eindruck (vorausgesetzt man kommt diesen Tätigkeiten auch nach).

Zitat:
Ich kann Geschichte nicht lebendig machen, und ich werde mich hüten..., aber ich kann Geschichte lebendig rüberbringen.
Was also spricht gegen Bezeichnungen wie Living History, Lebendige Archäologie, Lebendige Geschichte? Der recht schwammige und so gar nicht wissenschaftliche Klang? Die vielen Darsteller die es sich an die Brust heften?

Zitat:
Ihr aus dem schriftlichen Epochen habe es gut, Ihr könnt weitaus mehr first person, third person usw. anwenden, Theater spielen, in der Steinzeit kommt das wirklich nicht gut, es sei denn man hats drauf und erzeugt edukative Illusion, ohne albern zu werden.

Das möchte ich als Verallgemeinerung bezeichnen. Auch in den überliefernden Kulturen haben wir massive Lücken, gerade was Herstellung angeht. Mitunter verwirren Überlieferung und Funde, bzw. deren Diskrepanzen teilweise zusätzlich. Auch hier gibt es Bereiche, in denen wir zugeben müssen, wir wissen es nicht oder nicht genau. Auch fragwürdige Rekonstruktionen haben sich eingeschlichen.

Zitat:
Vielleicht trifft es Interpretor ein bisschen, aber das klingt mir (für die Faustkeilabteilung) doch unpassend.
So? Wird denn nicht, aufgrund fehlender Ãœberlieferung, nicht ein Fund von dir bzw. von der Wissenschaft interpretiert und von dir dann umgesetzt? Bestehst du nicht auf die Anwesenheit von Publikum?
Warum ist dieser Begriff, der eben nicht "fachlich" klingt, so viel schlechter? Würde es um "Darsteller" gehen oder um "Schauspieler" könnte ich die Abneigung verstehen, aber auch hier handelt es sich um einen recht breit definierbaren Begriff ohne den Eindruck einer Qualifikation.

Zitat:
Und der Begriff hat sich ohne mein Zutun verselbständigt, inzwischen nennen sich Leute Archäotechniker ....ich spars mir.

Ich denke, das gibt dir einen ungefähren Eindruck wie sich mancher Historiker fühlt, dessen Arbeit von diversen Personenkreisen der "Hobbiistenszene" unterschlagen wird oder Archäologen und Pädagogen, die sich ob ihres langen und arbeitsreichen Studium veräppelt fühlen dürften ob Kommentaren aus der Laienszene, die bis zur Beleidigung reichen, mindestens aber ihre Kompetenzen anzweifeln.

Davon aber abgesehen, wenn der Rahmen doch gesteckt ist, sprich, handwerkliche Vorführungen in Übereinstimmung mit (irgendeiner) wissenschaftlichen Theorie, dann ist das Feld mit Sicherheit ebenso weit nutzbar, wie es dies zur Zeit auch getan wird.

Zitat:
Tobias, ich habe nichts und niemandem zugestimmt.
Leider, da die Seite scheinbar gerade unten ist, kann ich es weder nachprüfen und nicht zitieren. Da du der Verfasser bist muß ich aber selbstredend eingestehen, dass es sich durchaus um einen Fehler meinerseits in der Auswertung des betreffenden Satzes handelt.
Wenn du nun aber schreibst, das du doch nicht der Erfinder des Namens für deine Tätigkeit bist, so stellt sich die Frage nach der genauen ursprünglichen Definition und der Zustimmung der einführenden Person, die du ja eben auch als bedauernswerter Weise meist uneingeholt bezeichnetest.

Den Rest beantworte ich, um das hier nicht noch weiter zu überdehnen, in anderen Teilbereichen.

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Wer war froher als Neanth, da er sich Meister von diesem wundervollen
Instrumente sah, wodurch er, ohne das mindeste von der Musik zu
verstehen, der Erbe des Talents eines Orpheus zu sein glaubte! - Lukian

Tib. Gabinius Primus
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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 23:32 
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Tobias, ich kenne Dich auch nicht, habe auch nichts gegen Deine Person, werde ebenfalls einem Personenstreit aus dem Wege gehen, fühle mich aber ständig selektiv zitiert, (deswegen) falsch verstanden und grundlos attackiert, deswegen abschließend ein paar Bemerkungen:

Zitat:
Tendenzen wie sie z.B. gerade bei Meldungen diskutiert werden.


Welche meinst Du, wo ist der Zusammenhang mit Begriffsverwirrungen...



Zitat:
Die meisten Vorführungen in Museen erfüllen schlicht die Standarts nicht, und sind darum eben keine Exp. Arch.


Genau, deswegen ein neuer Begriff, wie Holztechniker, Event-Manager etc. Neue Anforderungen, neues Berufsbild. Ich beschäftige mich mit uraltem Handwerk, und da mir "Steinzeithandwerksvorführungen" zu sperrig war, voila... Ich habe diesen Begriff auf diversen Tagungen und in Publikationen in den 1990er Jahren vorgeschlagen für das, was als Ergebnis von Experimenten in der Archäologie beim Besucher ankommt, weil es genau dafür eine Lücke gab.

Zitat:
[...] hochgreifende Neuschöpfungen [...] erwecken nur den Eindruck einer Qualifikation, die aber keineswegs in irgendeiner Form damit garantiert werden kann.


Tut "Archäotechniker" das mehr als "Heritage interpretor", "Handwerker/Darsteller/Tätiger im Bereich der lebendigen Archäologie" ?


Zitat:
Was also spricht gegen Bezeichnungen wie Living History, Lebendige Archäologie, Lebendige Geschichte? Der recht schwammige und so gar nicht wissenschaftliche Klang? Die vielen Darsteller die es sich an die Brust heften?


Ja, eben das, und auch das ist keine griffige Bezeichnung für eine Tätigkeit: Lebendiggeschichtler? Lebendigarchäologe?

Zitat:
So? Wird denn nicht, aufgrund fehlender Ãœberlieferung, nicht ein Fund von dir bzw. von der Wissenschaft interpretiert und von dir dann umgesetzt? Bestehst du nicht auf die Anwesenheit von Publikum?


Nein, ich bestehe nicht auf die Anwesenheit von Publikum, werde aber, weil Publikum anwesend sein wird, immer wieder von Museen engagiert. Ich interpretiere einen Fund nicht, dazu fehlt mir die wissenschaftliche Ausbildung, (die aber offenbar auch kein Garant für eine qualitativ bessere Interpretation eines Fundes ist, als ich sie privat liefern kann). Ich vollziehe die technischen Abläufe, welche die Herstellung eines Fundes ausmachen, nach, und präsentiere diese Techniken mitunter einem geneigten Publikum. Den meisten Museumsmitarbeitern ist es völlig Banane, unter welcher Bezeichnung ich daherkomme, Hauptsache, ich mache meine Arbeit zur Zufriedenheit aller. Ich bin kein "Darsteller" und ich betreibe auch keine "Living History", weil es zum Thema Steinzeit keine Darstellung oder den Eindruck einer Lebendigmachung der Geschichte geben kann, zumindest nicht seriös. Mir ist klar, dass auch in der Antikenforschung Lücken klaffen, dass man auch dort ein verlässliches Alltagsbild nicht in allen Bereichen nachvollziehen kann, aber das Leben in der Urgeschichte ist mangels schriftlicher Überlieferungen eine einzige Lücke. Nochmal: Archäologie kann die metaphysischen Bereiche der Urgeschichte bestenfalls ansatzweise anhand von äußerst vagen Indizien darstellen. Trotzdem wollen die Leute, die eine Museumsveranstaltung besuchen, wissen, "wie das damals war". Und ich zeige ihnen, wie man damals etwas gemacht hat, etwas hergestellt und benutzt hat, mehr nicht. Ich zeige den technischen Aspekt. Mir ist dafür kein besserer Begriff eingefallen als der ach so strittige, und niemand ist gezwungen, ihn zu benutzen. Meine Absicht war es nicht, eine Qualifikation vorzutäuschen, ich empfinde die Unterstellung dieser Absicht als geradezu impertinent. Im Gegenteil: die vielen Wissenschaftler, mit denen ich bisher zusammenarbeiten durfte, empfinden mich in diesem Bereich - der Sammlung von Erkenntnissen zu archäologischen Funden und Befunden aufgrund der technischen Aspekte - sehr wohl als qualifiziert wegen meiner handwerklichen Ausbildung und Erfahrung im Umgang mit Werkzeugen und Materialien aus der Urgeschichte, die mir einen ganz anderen Blick auf Sachen ermöglicht, als ihre Ausbildung das tut, und mich und meine Arbeit genau deswegen schätzen.

Zitat:
Ich denke, das gibt dir einen ungefähren Eindruck wie sich mancher Historiker fühlt, dessen Arbeit von diversen Personenkreisen der "Hobbiistenszene" unterschlagen wird oder Archäologen und Pädagogen, die sich ob ihres langen und arbeitsreichen Studium veräppelt fühlen dürften ob Kommentaren aus der Laienszene, die bis zur Beleidigung reichen, mindestens aber ihre Kompetenzen anzweifeln.


und vice versa....
Ich kenne diese Gefühle besser als Du vielleicht glaubst oder mir lieb ist, kenne aber auch das Gefühl, wenn einem erfahrenen Praktiker, der aber leider Laie ist, beim Versuch, der Wissenschaft zuzuarbeiten, von einem universitären Eierkopf, der nicht mal einen Nagel in die Wand hauen kann, brüsk über den Mund gefahren und "Flucht ins Manuelle" vorgeworfen wird.

Zitat:
Leider, da die Seite scheinbar gerade unten ist, kann ich es weder nachprüfen und nicht zitieren. Da du der Verfasser bist muß ich aber selbstredend eingestehen, dass es sich durchaus um einen Fehler meinerseits in der Auswertung des betreffenden Satzes handelt.


Archäotechniker/Archäotechnikerin ist kein Ausbildungsberuf. Zwar gibt es an der Universität Tübingen einen Ausbildungsgang "Archäotechnik", die Ausbildung umschreibt aber in etwa das, was bisher der Grabungstechniker macht und hat weniger mit Bogenschießen und Speerschleudern zu tun, sondern eher mit Vermessen, Ausgraben, Zeichnen usw.

http://archaeotechnik.federseemuseum.de ... p?idcat=72

Werter Tobias, Ich bin dafür, diesen unnützen Streit um des Kaisers Bart beizulegen, der Begriff Archäotechnik ist in die Welt gesetzt, ja, ich wars, mit voller Absicht, viele finden ihn gut, können was damit anfangen, und ob jemand als Archäotechniker, Darsteller vorzeitlichen Handwerks oder Hunzimors daherkommt, ist doch letztlich egal, Hauptsache, er macht seinen Job gut. DARÜBER würde ich mich viel lieber unterhalten, über die Umsetzung von Geschichtsdarstellung, die ja momentan an allen Ecken und Enden Schlagzeilen macht. Ich jedenfalls sitze nicht die Jahre bis zur Pensionierung in Hörsälen ab, die nur mangels Alternative gefüllt sind...

Keine weiteren postings, Euer Ehren
Ulfr


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BeitragVerfasst: Mittwoch 30. Juli 2008, 10:52 
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Soweit ich das verstehe, geht es hier um die Frage, wem der Begriff "Archäotechnik" gehört" diese Frage wurde oben schon von Susanna beantwortet: der deutschen Sprache. Wer ihn zuerst geprägt hat kann das vielleicht nachweisen, was aus ihm gemacht wird ist dem Schicksal und dem Sprachgebrauch überlassen, wenn man den Begriff nicht als geschätztes Markenzeichen einträgt (wie z. B. "Batman" oder "Deutsche Bank").

Möglich wäre das gewesen, aber jetzt zu spät.

Nb. sind zur Zeit alle relevanten Begriffe im Rutschen. In den 90ern nannten sich z. B. viele Reenactors "Living Historians", auch wenn sie mit Publikum nix zu tun haben wollten. Begriffsklärung ist im Moment das A und O. Auch uns "darstellenden Römergruppen" wird vermutlich bald ein trennstrich aus Living Historians und Reenactors trennen (tut's jetzt schon, ist nur nicht genau auszumachen).

Ulfr, es tut mir leid, wenn dir solcherart dein "Fachbegriff" abhanden gekommen ist. Das ist sicher ein blödes Gefühl und eine missliche Situation, hat aber weder was mit bösem Willen seitens der Akademik zu tun " noch damit, dir Kompetenzen abzustreiten.

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VLG T.M.P./J.H.


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BeitragVerfasst: Mittwoch 30. Juli 2008, 14:57 
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Darstellung: Musikarchäologie
Die Umsetzung von Geschichtsdarstellung UND die dazu gehörigen Begriffe,
ich würde gerne über beides reden.

Denn immerhin ist das hier ja die Schriftform, also:
"Sie sollten wissen, was sie sagen, sonst werden sie nie sagen, was sie meinen."

*die gerade erfolgreich einen Nagel in die Wand gehauen hat
um ein Bild mit akademischen Vasenumzeichnungen aufzuhängen*

Nix für ungut...

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Ein Genie lernt alles, von jedem.
Der Intelligente lernt vom Genie und aus seinen Erfahrungen.
Der Dumme lernt nichts...., er weiß alles besser.


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