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BeitragVerfasst: Dienstag 29. Juli 2008, 02:00 
Tesserarius
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In diesem Thema soll es nur um die Diskussion einer Notwendigkeit für eine Qualitätskontrolle gehen. Ich bitte ausdrücklich darum, hier keine Gruppen oder Einzelpersonen zu denunzieren, es soll hier nicht um die Austragung von Fehden gehen.
Wer sich angesprochen fühlt darf selbstverständlich eine Richtigstellung einstellen. Dabei ist aber nicht das einhaken auf den Kritiker gemeint oder das relativieren einer Problematik, sondern bspw. die Erläuterung der Situation.
(Beispiel: Jemand beschreibt den Fall eines sich auf die Frage eines Zuschauers plötzlich umdrehenden und wegschlendernden Darstellers. Derjenige hat natürlich das recht zu erläutern, dass er bspw. plötzliche gesundheitliche Beschwerden bekam oder die Frage beleidigender Natur war / empfunden wurde usw. Nicht erwünscht sind Bemerkungen wie "Hast du doch selbst sicher auch schon gemacht" oder "die Frage war zu doof").

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Wer war froher als Neanth, da er sich Meister von diesem wundervollen
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verstehen, der Erbe des Talents eines Orpheus zu sein glaubte! - Lukian

Tib. Gabinius Primus
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BeitragVerfasst: Freitag 15. Mai 2009, 05:27 
Tesserarius
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Im Netz wurde die letzten Monate viel diskutiert, über die Qualitätskontrolle, ein Gütesiegel, die Aachener Erklärung usw.

Meines erachtens ist eine Qualitätskontrolle notwendig.
1. Nur durch fachliche Kritik können Schwächen aufgetan werden, die jede (!) Gruppe und Einzelperson immer hat. Damit ist nicht nur die Ausrüstung gemeint, sondern eben auch die Vermittlung und das benötigte Hintergrundwissen.
2. In dem Moment, in dem eine Gruppe oder Person vor Publikum tritt und "erklärt", oder wie es gerne in der Szene genannt wird, den "Erklärbären" spielt, übernimmt sie einen Bildungsauftrag. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser klar formuliert wurde oder ob es eine Gage gibt, ob die Erklärung im Freilichtmuseum, auf einem Marktplatz oder in der Schule stattfindet.
Um sicher zu stellen, dass keine völlig verklärten Bilder "stets siegreicher Römer" oder einer "durch das dekadente Christentum zu Fall gebrachte" Spätantike, eines "düsteren Mittelalters" oder "urdeutsche Germanen" vermittelt werden bleibt nur die Kontrolle. Wie diese nun auszusehen hat ist dann ein eigenes Thema.
3. Viel böses Blut kann vermieden werden, wenn die Tendenz, die eigene Gruppe durch vermeintliche Wissenschaftlichkeit "aufzuwerten" von vorneherein in vernünftige Bahnen gelenkt wird. Gerade unter den Römern ist es ja verbreitet sich mit dem Aushängeschild "Experimentalarchäologie" zu behängen, obwohl die ursprüngliche Motivation für das Hobby doch eher Spaß an der Rekonstruktion, der Ausübung und dem Zusammensein bestand.
Stehen klare Richtlinien im Raum bzw. wird von angesehener Seite klar gemacht, was zu einem bestimmten Standart noch fehlt, so kann dies viel vom Konkurrenzkampf und der Neidsituation in der Szene beenden. Momentan darf keine Kritik geäußert werden, ohne das daraus ein Streit entbricht.
4. Die Möglichkeit einer neutralen Meinungsbildung wird nur durch sachliche Berichte nach fachlicher Kontrolle möglich sein. Die Befragungen innerhalb der Szene geben Meinungen wieder, die eben oftmals auch durch Antipathie oder Mißgunst bestimmt sind, selbst wenn mitunter kein realer Kontakt zu irgendeinem Zeitpunkt bestanden hat.
Die Alternative für potentielle Auftraggeber ist der naturgemäß sehr schöngefärbte Besuch der Internetseiten und ein persönliches Aufsuchen der Gruppe, möglichst während einer Veranstaltung. Das dabei aber die Person alles benötigte Wissen mitbringt und nicht Ausnahmesituationen zu gesicht bekommt ist dabei nicht garantiert, trotz des hohen Aufwandes.
5. Kontakt zur Fachwelt. Vielfach wird sich beklagt, dass die Fachwelt Darsteller belächelt oder ignoriert, ihre Arbeit nicht anerkennt. Gerade durch solche Kontrollen könnte beides abgemildert und vielleicht in ein paar Jahren sogar abgestellt werden.

Für mich ist also die Notwendigkeit einer solchen Kontrolle absolut klar, woraus sich aber natürlich noch lange nicht ihre Gestaltung ergibt (dazu gibts ja ein eigenes Thema).

Ebenso klar ist es für mich, dass diese Kontrolle nur eine Rolle spielt, wenn es um Vermittlung, nennen wir es mal Living History, oder um wissenschaftliche Experimente geht. Gruppen und Personen, die wirklich "nur" dem Hobby, vom vielbelachten Gewandungsgrillen bis zum Reenactment frönen zu kontrollieren, das schließt sich m.E. völlig aus. Natürlich stellt sich im Anschluß unmittelbar die Frage nach den Grauzonen.
Ist etwa ein Schlachtenevent, dass ja fast nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu realisieren ist nun Reenactment oder bereits Living History?

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Tib. Gabinius Primus
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BeitragVerfasst: Samstag 16. Mai 2009, 20:45 
Miles Gregarius
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salve Primus,

Die Tatsache das in diesem Thread nicht viel los ist, deutet darauf hin das es keine
kontroversen Meinungen gibt. Das Museen und andere Bildungsträger sich sicher
sein müssen das die von ihnen beauftragten Personen und Gruppen dem Bildungsauftrag
der Institution gerecht werden ist klar.

Für andere Bereich braucht und will keiner eine Qualitätkontolle.

Das Problem ist mehr das die Museen scheinbar kein Problembewustsein haben, also
derjenige der eigendlich die Anforderungen setzen muss, hierfür keine Notwendigkeit
sieht - damit gibt es sozusagen keine Nachfrage und damit auch kein Angebot an
Qualität. Die Qualitätsdiskussion wird scheinbar nur von den "Anbietern" geführt, es ist
also kein Dialog und deswegen gibt es auch keinen Fortschritt.
Die letzte Tagung von Anfang Mai (?) scheint diesen Eindruck zu Bestätigen.

vale
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Marcus Mentellius Sermonius


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BeitragVerfasst: Sonntag 17. Mai 2009, 00:20 
Tesserarius
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Ganz so extrem würde ich es nicht sehen. Denn erstens lesen hier glaube ich sehr wenig Museumsleiter mit ( :D ) und zweitens gibt es ja eine öffentliche, auch von den Trägern arrangierte und gewollte Diskussion, die lediglich nur Träge anläuft. Ich schiebe das eher auf Ratlosigkeit und mangelnde Kapazitäten für dieses Unternehmen.
Mainz, Paderborn, Bonn, viele Museen haben sich und beteiligen sich weiter, spätestens seit der Diskussion um Ulfhednar.

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Tib. Gabinius Primus
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BeitragVerfasst: Sonntag 17. Mai 2009, 18:35 
Miles Gregarius
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Tib. Gabinius hat geschrieben:
... gibt es ja eine öffentliche, auch von den Trägern arrangierte und gewollte Diskussion, die lediglich nur Träge anläuft....


salve Prime

ich hoffe das die Institutionen nicht so träge sind, das das Thema sich vorher von alleine
erledigt hat, wenn mangelnde Qualität zu einer "Verbannung" der LH aus den Museen
geführt hat.
Ich würde gerne mal eine "Wuschliste" sehen, nur um verstehen zu können was sich
ein Museeum von LH verspricht, dann könnte man sich viel zielgerichteter auf die Felder
konzentrieren wo die Qualität stimmen muss - Ich vermute das die materielle Ausstattung
- entgegen der Szene-Meinung - dabei gar keine große Rolle spielen wird. Aber solange
das Spekulation bleibt kommt man nicht weiter.

vale
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Marcus Mentellius Sermonius


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BeitragVerfasst: Montag 18. Mai 2009, 19:33 
Togatus
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Hallo,

Marcus dürfte auf der richtigen Spur sein, wenn er glaubt, dass die materielle Ausstattung für Auftraggeber keine so große Rolle spielen würde wie für die Szene.

Die wenigsten der Verantwortlichen haben meiner Erfahrung nach eine klare Vorstellung von LH, das lese ich aus den bisherigen Publikationen wie auch den Vorträgen und Diskussionen auf der Tagung in Freiburg. Anders ist es für mich nur schwer zu verstehen, warum Kölner Hunnenhorden dort plötzlich zu Living-History-Darstellern avancierten...

Dennoch kann man die vergangenen und zukünftigen Veranstaltungen zum Thema Living History als ernsthaften Versuch werten, das Phänomen Living History in der deutschen akademischen Welt zu verstehen. So gibt es z.B. in diesem Sommersemester an der Universität Hamburg ein Seminar "Living History" mit genau diesem Zweck:

Zitat:
"Im Seminar wollen wir uns mit unterschiedlichen Konzepten auseinandersetzen, die hinter Begriffen wie Living History, Reenactment oder Heritage Interpretation stehen, und nach deren gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, institutionellen An- und Einbindungen fragen. Wer sind die Akteure, was ihre Motivationen? Welche Ansprüche werden verfolgt, welche Erwartungen an die Gruppen gerichtet? Welche Themen und Zeitschnitte rücken in den Fokus und wie werden sie konkret umgesetzt? Nicht zuletzt soll der Versuch unternommen werden, Living History vor dem Hintergrund größerer gesellschaftlicher Zusammenhänge (Stichworte wären hier etwa "Geschichtsboom" und "Erlebnisgesellschaft") und wissenschaftlicher Diskussionen (Historismus/Folklorismus, Authentizitäts- und Ganzheitlichkeitsdiskurs, Theatralität und "performative turn") zu betrachten."


Quelle: http://www.uni-hamburg.de/Wiss/FB/09/ArchaeoI/Vfg/html/studium/vv/kvvss09.html

Dies bringt mich auf einen Gedanken, der zwar in manchen Ohren provokant klingen mag, aber mit meinen Erfahrungen korrespondiert: Vielleicht ist es noch zu früh, die Frage nach den Bedürfnissen der Museen zu stellen, einfach weil man sich dort darüber häufig noch gar nicht im klaren ist?!

Living History ist in deutschen Museen ein sehr junges Phänomen, und die akademische Welt tut gerade ihre ersten Schritte hin zur Akzeptanz dieses Vermittlungsmediums. Es gibt noch keinen allseits akzeptierten Kanon über die Einsatzgebiete von Living History im Museum, weil man darüber noch nicht sehr lange nachgedacht hat.

Der enorme Druck, unter dem auch die Museen durch die neue Medienwelt und andere Freizeitangebote stehen, hat einen breiten Einsatz von LH befördert. Doch das Verständnis um die Methoden der LH hat mit dem Tempo der Einführung nicht Schritt halten können.

Mehr oder minder stillschweigend hat sich ein System etabliert, bei dem Laien-Gruppen/reenactors (die in erster Linie ihren eigenen Interessen frönen) von Museen als (häufig möglichst billiger) Dienstleister für Aufgaben engagiert werden, die irgendwo zwischen Unterhaltung, Besuchermagnet und museumspädagogischen Lückenfüller pendeln.

Der Ulfhednar-Zwischenfall hat nun die Schwächen dieses Systems offengelegt und eine eigentlich sowieso notwendige Diskussion in gewisser Weise befeuert.

Es wäre zu wünschen, dass die Museen diesen Schwung in der Debatte nutzen, um sich wirklich verstärkt darum zu kümmern, wie Living History zukünftig im Museum verortet werden kann.

Die Chance wäre mit Tagungen wie im Sommer in Bonn vorhanden. Doch wird vieles davon abhängen, welche Akzente in den zukünftigen Debatten gesetzt werden. Will man Living History als Kommunikationsmittel der Museumspädagogik akzeptieren, oder obsiegt am Ende die Angst vor einer zu starken Popularisierung der Inhalte?

Und was nach meinem Dafürhalten auch noch schwer wiegt: schafft man es, die Debatte vom Ulfhednar-Zwischenfall und der Angst vor dem ideologischen Missbrauch durch Laien zu lösen?

Auch wenn es im Web darum recht ruhig geworden ist, Teile der akademischen Welt haben die Paderborner Ereignisse zutiefst verstört. Die Geschichte ist keineswegs abgeschlossen und ich befürchte, dass Paderborn als dunkler Schatten über Bonn schweben wird.

Wenn aber diffuse Ängste eine zukunftsorientierte Debatte behindern oder sogar in eine falsche Richtung lenken, kann dass auch die besten Gedanken über Qualität Makulatur werden lassen.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal dafür werben, dass sich die Darsteller-Seite in Bonn Präsenz zeigt und sich in die Debatte einmischt und dabei hilft, die "Sache LH" auf einen guten Weg zu bringen.

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BeitragVerfasst: Dienstag 19. Mai 2009, 09:58 
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Andreas hat geschrieben:
...
Dies bringt mich auf einen Gedanken, der zwar in manchen Ohren provokant klingen mag, aber mit meinen Erfahrungen korrespondiert: Vielleicht ist es noch zu früh, die Frage nach den Bedürfnissen der Museen zu stellen, einfach weil man sich dort darüber häufig noch gar nicht im klaren ist?!
Living History ist in ... Museen ein sehr junges Phänomen, und die akademische Welt tut gerade ihre ersten Schritte hin zur Akzeptanz dieses Vermittlungsmediums. Es gibt noch keinen allseits akzeptierten Kanon über die Einsatzgebiete von Living History im Museum, weil man darüber noch nicht sehr lange nachgedacht hat.

Der enorme Druck, unter dem auch die Museen durch die neue Medienwelt und andere Freizeitangebote stehen, hat einen breiten Einsatz von LH befördert. Doch das Verständnis um die Methoden der LH hat mit dem Tempo der Einführung nicht Schritt halten können.

Mehr oder minder stillschweigend hat sich ein System etabliert, bei dem Laien-Gruppen/reenactors (die in erster Linie ihren eigenen Interessen frönen) von Museen als (häufig möglichst billiger) Dienstleister für Aufgaben engagiert werden, die irgendwo zwischen Unterhaltung, Besuchermagnet und museumspädagogischen Lückenfüller pendeln.
...
hervorgehoben durch mich

Du sprichst mir aus der Seele, genau o.a. haben wir letztes WoE im Museum für Urgeschichte in Asparn/Zaya als "Darsteller" "auf's Auge gedrückt bekommen" (wenn Dich deren Vorgangsweise :mauer: in Einzelheiten interessiert kannst von mir PN haben)

Ulfhednar ist eigentlich ganz was anderes ... wer solches Gedankengut (auftätowiert) zur Schau stellt oder solche Zurschaustellung nicht augenblicklich verhindert ist nach dem Gesetz zu belangen ...

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>>>wer hier Schreibfehler findet darf diese behalten und auch selbst verwenden<<<


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BeitragVerfasst: Dienstag 19. Mai 2009, 15:03 
Togatus
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Richtig, die Ulfhendar-Sache ist eigentlich etwas ganz anderes und hat wenig mit der Qualitätsfrage zu tun - doch so einfach ist die Sache nicht. Die Wahrnehmung der Szene muss nämlich nicht zwingend mit der außerhalb übereinstimmen.

Die wichtigsten Partner der Living History-Darsteller in Qualitätsfragen sind die Museen, die Forschung und auch in gewissen Umfang die Medien, welche LH z.B. in Fernsehdokumentationen gerne einsetzen. Und in diesen Umfeld nimmt der Paderborner Zwischenfall einen anderen Stellenwert ein als in der "Szene".

Mittlerweile beobachte ich die beunruhigende Tendenz, dass sich der Fokus von der Gruppe Ulfhendnar zu "den" Geramen- und Wikingerdarstellern verschiebt. Im Zuge der Varus-Feierlichkeiten droht uns in der Frage der ideologischen Beeinflussung eine Verallgemeinerung.

Auch wenn es ein wenig vom Thema wegführt, sei mir zur Illustration ein Verweis auf den Radiobeitrag "2000 Jahre Varusschlacht (5) Der Mythos lebt - Germanenlkult heute" in hr2 erlaubt.

Dort werden nicht mehr Ulfhednar, sondern (Germanen-) Reenactors im Allgemeinen (die Namen der interviewten Darsteller fallen nicht) mit der NPD, Neonazis, Neoheidentum und völkischem Gedankengut in Verbindung gebracht.

Besonderes Augenmerk sollte man in Bezug auf unsere Debatte auf die Interviews mit den Archäologen von der Uni Leipzig legen:

Ton 10: Ralf Hoppadietz
Natürlich ist es so, dass diese Reenactment-Gruppen Erkenntnisse aus der Ur- und Frühgeschichte benutzen, allerdings bezieht es sich da bezeichnender Weise immer nur auf die Sachkultur, auf die Rekonstruktion von Grabzusammenhängen. Auf Diskussionen in der Forschung über Deutungsmöglichkeiten - darauf wird wenig Bezug genommen.

O-Ton 11: Interviews im Germanenlager
Das ist auch mein Ansatz so, irgendwie. Living Reenactment, dass ist ein bisschen lebendige Archäologie dabei.

Zitator 2: Reenactment meint die Darstellung von tatsächlichen oder möglichen historischen Ereignissen mit Hilfe möglichst detailgetreuer Ausstattung. "Living History" zielt auf das
Nacherleben eines historischen Zeitraums.

Erzählerin: Die Veranstalter von Mittelaltermärkten, Fernsehanstalten und Filmteams greifen gern auf solche Truppen zurück - und auch Museen und Ausstellungen.

O-Ton 12: Doreen Mölders
Man bedient damit den allgemeinen Trend, Geschichte konsumierbar zu machen. Da ist es natürlich einfacher, sich unterhalten zu lassen bei solchen Reenactmentshows, als sich mühsam Texte oder Schautafeln durchzulesen.

Erzählerin: Doreen Mölders und Ralf Hoppadietz beschäftigen sich an der Universität Leipzig mit Ur- und Frühgeschichte und kennen die Szene.

O-Ton 13: Ralf Hoppadietz
Und ein anderer Punkt, der dabei wichtig ist, dass diese Reenactmentgruppen durch ihre imaginierte Identität als Germanen ihre Legitimation herausziehen, dass sie das richtige Geschichtsbild verkörpern.

(den O-Tönen aus dem Germanenlager ggf. Kampfgeräusche unterlegen,
um sie akustisch deutlich abzusetzen von Mölders/Hoppadietz)

O-Ton 14: Interviews im Germanenlager
.... das waren meine Vorfahren und ganz klar fühle ich mich auch dem
verbunden.

O-Ton 15: Doreen Mölders
Das Problem ist der Verweis auf Authentizität, der immer kommt bei den Reenactmentgruppen, wobei sich das natürlich nur auf die Rekonstruktion des Sachgutes beziehen kann und überhaupt nicht auf die Darstellung der Lebensweisen.


Vielleicht wird an diesem Beispiel etwas deutlicher, was ich heute morgen meinte (rote Hervorhebungen ebenfalls von mir). Die Diskussion um die LH in der Wissenschaft und den Museen steht an einem anderen Punkt als die Diskussion innerhalb der Darsteller-Szene.

Es ist keineswegs so, dass man LH überall als legitime Methode der Vermittlung anerkennt und mit offenen Armen empfängt. Vielen ist die ganze Sache immer noch suspekt, nicht zuletzt weil sich LH außerhalb der etablierten Bahnen der akademischen Forschung und Lehre bewegt und weitgehend von Akteuren außerhalb dieser Welt gestaltet wird.

In einem solchen Klima erlangt ein Vorfall wie Paderborn ein anderes Gewicht, nicht nur weil die Museen natürlich auch auf ihren Ruf in der Öffentlichkeit angewiesen sind und schon deswegen mehr Augenmerk darauf richten müssen.

Denn dort, wo das Verständnis für LH fehlt, fällt die Ablehnung aus - für uns vielleicht wenig nachvollziehbaren - Gründen leicht. Wo aber Unwissenheit herrscht, ist auch Raum für Ängste. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber.

So fürchte ich immer noch, dass die Nachwehen des letzten Jahres die eigentlich notwendige Debatte über Qualitätsmangement in der Living History in eine ganz andere Richtung lenken könnten. Der Titel des öffentlichen Abendvortrages der Tagung in Bonn jedenfalls macht mich sehr skeptisch. Er führt kein Schlüsselwort zum Thema Qualität an, sondern lautet: "Tot oder Lebendig, wir kriegen euch! Zu Tradition, Absicht und Rezeption von ‘gelebter Geschichte’”.

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Zuletzt geändert von Andreas am Donnerstag 21. Mai 2009, 09:57, insgesamt 1-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Qualitätskontrolle & Ulfhednar
BeitragVerfasst: Mittwoch 20. Mai 2009, 09:48 
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Andreas hat geschrieben:
Richtig, die Ulfhendar-Sache ist eigentlich etwas ganz anderes und hat wenig mit der Qualitätsfrage zu tun - doch so einfach ist die Sache nicht. Die Wahrnehmung der Szene muss nämlich nicht zwingend mit der außerhalb übereinstimmen.
...

dies ist völlig richtig, "wir" definieren "für uns" solche "Zwischenfälle" (hoffentlich) richtig, ziehen unsere Konsequenzen daraus, die "restliche Öffentlichkeit" sieht das (zeitungsmässig aufbereitet) selbstverständlich anders; es kann bei Bedarf (um eine allfällige Diskussion in eine bestimmte Richtung zu ziehen) auch jederzeit wieder "aus dem Hut" gezogen werden.

Verständlicherweise müssen sich Museen/Veranstalter (leider?) nach der öffentlichen Meinung strecken, der politische Druck "von oben" wird auch entsprechend sein.

:!: Unter Berührungsängsten zwischen Wissenschaft und "Darstellern" haben wir bei uns in A bisher nicht zu leiden gehabt.
*überspitzt & entfremdet formuliert*: in Österreich gibt's nur Gesprächsverweigerung oder Euphorie seitens "der Wissenschaftler"

:idea: Wir lassen uns von Uxxx schon wieder abschweifen - also berührt es uns doch mehr als angenommen ... :wink:

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BeitragVerfasst: Freitag 19. Juni 2009, 23:18 
Tesserarius
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Bisher haben wir vor allem über die Qualität und die Anforderungen an die Darsteller gesprochen, aber jüngst geht es auch andersherum.

http://www.sueddeutsche.de/politik/199/472721/text/
http://www.welt.de/politik/article39593 ... ormen.html
http://www.mdr.de/nachrichten/6454205.html

Und das Feedback zur Orga in Kalkriese war bspw. eher mißgelaunt, als begeistert. Dort haben vor allem die Darsteller die Sache gerettet.

Verantwortung tragen Gruppen, Einzelpersonen und Veranstalter gleichermaßen. In diesem Fall hätte der Veranstalter mit einem oder zwei "geschulten" Personen das Problem vorweg ausräumen können, die Darsteller mit einem Schuß Sensibilität und Bewußtsein von vorneherein den Gesetzesbruch unterlassen können.
Das soll den Vorfall nicht aufbauschen, in meinen Augen ist es ein Gesetzesbruch, der Staat ermittelt (und somit verläuft alles genau wie per Gesetz zum Schutz des Staates vorgesehen ist) und unsensibel. Damit hat es sich. Aber es hätte vermieden werden können.

Ist also nicht auch eine Notwendigkeit für die Qualitätssicherstellung Seitens der Veranstalter gegeben? Dürfen Veranstalter Darsteller für alle möglichen Arbeiten einsetzen, anschreien oder benachteiligen? Müssen sie nicht ein wachsames Auge haben?

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BeitragVerfasst: Samstag 20. Juni 2009, 11:10 
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Zitat:
Die Organisation des Umzuges sei vor allem von 1-Euro-Jobbern übernommen worden. Daher sei eine komplette Kontrolle der Teilnehmer nicht zu leisten gewesen.


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