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"Evolution" der römischen Helme
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Autor:  Sidonius Callidus [ Mittwoch 25. Juli 2012, 09:42 ]
Betreff des Beitrags:  "Evolution" der römischen Helme

Salvete Flavii,

ich hab eine Frage die mich schon einige Zeit umtreibt bzgl. der "Evolution" der römischen Helme.
Man kann ja anhand der bisherigen Fundstücke eine sehr schöne Entwicklungsreihe aufstellen, bei der jeder nachfolgende Helmtyp (und innerhalb dessen auch die einzelnen Untervarianten) Verbesserungen und Anpassungen gegenüber dem Vorgänger aufweist.

Grob sieht das Schema so aus (ohne die Untervarianten zu berücksichtigen):

Montefortino -> Coolus -> Weisenau (gallisch/italisch) -> Niedermörmter/Niederbieber/Heddernheim/Theilenhofen

Die Schutzwirkung der Helme nahm also beständig zu (größere Wangenklappen, größerer Nackenschild, Ohrenschutz, Stirnbügel, Kreuzbügel usw.) und wurde auch an die jeweiligen gegnerischen Waffen angepasst (z.B. thrakisches Falx).
Die Frage, die mich beschäftigt ist, wie passt der Helmtyp Intercisa in dieses Schema bzw. diese Fortentwicklung? Er gleicht vom Aussehen und der Schutzwirkung her doch eher den primitiven Coolus-Varianten. Warum fand diese scheinbare Rückentwicklung statt? Ging das Wissen zur Herstellung von Helmen wie dem Niedermörmter oder dem Heddernheimer verloren? Stand nicht mehr genügend Rohmaterial zur Verfügung (Stahl, Messing/Bronze)? Oder machte der zunehmende Druck auf die römischen Grenzen es notwendig in möglichst kurzer Zeit einfache Helme zu produzieren, um Verluste auszugleichen bzw. Truppen auszurüsten?

Auch frage ich mich, warum der spätrömische Helmtyp Burgh Castle/Deurne so aussah, wie er nunmal aussah. Die Wangenklappen und der Nackenschutz scheinen auf Weiterentwicklungen des Intercisa-Typs zu beruhen, aber wozu diente der Nasenschutz? Ja, ich weiß, zum Schutz der Nase. :D Aber warum wurde er plötzlich nötig, obwohl die früheren römischen Helme trotz all der Verbesserungen in den Jahrhunderten davor nie einen Nasenschutz bekamen. Wurde dieser einfach nur von den germanischen Spangenhelmen übernommen, oder gab es einen guten Grund einen Nasenschutz zu entwickeln?

Valete, Sidonius Callidus

Autor:  Titus Antonius Laevinus [ Donnerstag 26. Juli 2012, 10:41 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Interessante Fragestellungen.Werde diesen Thread einmal aufmerksam verfolgen,denn ich kann leider nichts zu sagen, ausser die bereits angemerkten Fakten das es wohl immer mehr Richtung Defensivausrichtung ging..

Autor:  Tertius Mummius [ Donnerstag 26. Juli 2012, 22:43 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Intercisa hat halt die große längs über den Helm laufende Schiene gegen Hieve von oben, verglichen mit der Querschiene über der Stirn bei Weisenau. Die Schwerter wurden länger und Reitergefechte häufiger, somit auch der Schutz gegen schlagende Reiter (ggs. zu stechender Infanterie). Würde ich sagen.

Autor:  Abenader [ Donnerstag 26. Juli 2012, 23:07 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Salve Sidonius Callidus,

Der Intercisa wurde im Späten 3. Jahrhundert entwickelt (Deoclecian- vom Pricipat zum Dominat) war leichter herzustellen, weil er aus 2 Hälften getreiben wurde, die an der mittleren Spange zusammengenietet wurden. Im Späten 3. und 4. Jahrhundert waren sehr viele Truppenaushebungen von nöten, die ausgerüstet werden mussten. Möglicherweise hat man da auf einen persischen Vorgänger zurückgegriffen.

Vale
QNC

Autor:  Sidonius Callidus [ Montag 30. Juli 2012, 13:55 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Salvete,

also liege ich mit meiner Annahme bzgl. Vereinfachung und Beschleunigung der Herstellung zur Ausstattung großer Truppenverbände richtig.
Allerdings stellt sich die Frage, ob das römische Heer in spätrömischer Zeit tatsächlich größer war, als das Heer im 1. und 2. Jahrhundert. Es gab zwar mehr Legionen, aber die waren gleichzeitig ja erheblich kleiner.
Auch im 1. und 2. Jahrhundert (und ebenso in der Zeit davor) mussten oft Truppen in Kohorten- bis Legionsstärke ausgehoben und ausgerüstet werden um Verluste auszugleichen. Wie haben die Römer da die Produktion von Helmen, Rüstungen und Schwertern auf die Schnelle bewerkstelligt?

Wäre es möglich, dass die Vereinfachung der Herstellung zwar im Vordergrund stand bei der Entwicklung des Intercisa, es aber gleichzeitg auch einen Verlust an Know-how oder zumindest an Fabrikationsstätten gab?

Denn, um auf den Beitrag von Tertius Mummius zurückzukommen, sicher hätten entsprechend angepasste Helme des Weisenau- oder Niederbiebertyps eine vergleichbare (wenn nicht sogar bessere) Schutzwirkung erzielen können.

Ich frage mich auch, wie effektiv der Nackenschutz der Intercisa- und Burgh Castle-Helme war. Dieser war ja nicht starr mit der Kalotte verbunden sondern hing nur an Lederriemen. Ein heftiger Rückhandschwerthieb vom Pferd aus ins Genick des Trägers wäre in dem Fall wohl trotz Nackenschutz tödlich gewesen. Dieser hätte bestenfalls verhindert, dass dem Unglückseligen der eigene Kopf vor die Füße fällt, das Genick wäre trotzdem durch gewesen, oder was meint ihr?

Valete, Sidonius Callidus

Autor:  Abenader [ Montag 30. Juli 2012, 21:54 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Salve Callidius,

im 3. 4. und 5 Jahrhundert gab es zahlreiche Heeresreformen, die Truppen wurden durch zahlreiche Hilfstruppenverbände jenseits der Grenzen aufgestock. Einerseits gab es namendlich mehr Legionen als im 1. und 2. Jahrhunder, andererseits geht man aber davon aus, dass auch die reine Anzahl von Soldaten höher war als zuvor. In der Spätantike gab es zahlreiche Fabricae, die sich ausschließlich mit der Herstellung von Rüstungsgütern konzentriert haben. Also sozusagen eine Art frühe Massenproduktion. Diese Güter mussten bezahlbar sein, da die finanziellen Mittel nicht immer ausreichend vorhanden waren. Folglich hat man am Material und Arbeitszeit gespart, auf Kosten der Schutzwirkung der Soldaten. Die Standards für Rekrutierungen wurden herabgesenkt, um schneller Truppen auszuheben. Die Helmtypen die im 1. 2. und frühen 3. Jahrhundert in gebrauch waren, sind auf Dauer zu teuer und zu aufwendig in der Herstellung geworden.

Vale QNC

Autor:  Sidonius Callidus [ Dienstag 31. Juli 2012, 09:25 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Salve Abenader,

also kann man grob zusammenfassen, dass es in der Spätantike aufgrund der ständigen Krisensituationen nötig wurde, Quantität vor Qualität zu setzen, sowohl was die Rekrutierung und Ausbildung der Soldaten als auch ihre Ausrüstung anging.

Somit ließe sich anhand der Helmentwicklung in gewisser Weise auch der beginnende Niedergang des Römischen Reiches ablesen.

Ist denn bekannt wie lange der Intercisa in Gebrauch war und ob es zu der Zeit noch andere römische Helmtypen gab? Denn später kamen ja die Burgh Castle/Deurne-Typen auf, die qualtitativ wieder aufwändiger waren (größere Wangenklappen, Nasenschutz, stärkere Kalotte usw.). Die Frage ist, ob der Intercisa nur eine schnelle Zwischenlösung als Reaktion auf die zahlreichen Konflikte entlang der Grenzen und im Inneren war oder ob er über längere Zeit als fester Bestandteil der römischen Ausrüstung fungierte.

Vale, Callidus

Autor:  Marcus Mentellius Sermonius [ Montag 20. August 2012, 21:03 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

salvete,

die einfachere Art der Herstellung hatte einen weiteren Effekt, nämlich das eine größere Materialstärke verwendet werden kann. Womit wieder ein größerer Schutz vorallem gegen Hiebwaffen einherging. Zusätzlich erlaubt die Befestigung von Wangenklappen und Nackenschutz am Helmfutter dem Träger wieder eine wesentliche Bewegungsfreiheit für den Kopf und das bei gleichbleibender Schutzwirkung. Ich würde deswegen die Ahnenreihe der römischen Helme einfach weiterführen. Die Römer haben eben mal wieder von Ihren Gegnern sich das beste abgeschaut und für Ihre zwecke angepasst.

Den direkten Vorgänger des Burgh Castle/Deurne-Typ hat man übrigens in Dura/Europos gefunden, wahrscheinlich war es ein persischer Helm.

valete
Sermonius

Autor:  Sidonius Callidus [ Freitag 24. August 2012, 10:30 ]
Betreff des Beitrags:  Re: "Evolution" der römischen Helme

Salve Sermonius,

klingt einleuchtend. Wobei ich immernoch etwas skeptisch bin bzgl. der Schutzwirkung des flexiblen Nackenschutzes der Intercisa/Burgh Castle-Helmtypen gegenüber dem starren Nackenschutz der Weisenau/Heddernheim/Niedermörmter/Niederbieber ...-Helme.

Die erhöhte Bewegungsfreiheit für den Kopf war natürlich ein klarer Vorteil. Gerade bei den Heddernheim/Niedermörmter/Niederbieber-Typen mit ihrem tiefgezogenen ausladenden Nackenschutz war der Legionär/Auxiliar praktisch nicht mehr in der Lage den Kopf in den Nacken zu legen, um nach oben zu schauen. Beim Kampf vom Pferd aus sicher kein wirklicher Nachteil (es sei denn, der Gegner kam auf Elefanten daher), aber für einen Infanteristen, der gegen Reiter oder auch mal hügelaufwärts kämpfen musste, war es sicher ne ziemliche Behinderung.

Waren denn die Intercisa tatsächlich aus dickerem Material hergestellt? Wenn ja, um wievieles dicker war dieses? Zumindest die Repliken von Deepeeka sind ebenso dick wie die Repliken der Vorgängerhelme, was allerdings kein wirkliches Argument ist, da die Inder vermutlich einfach aus Kostengründen die gleichen Materialstärken zur Herstellung benutzen.

Vale, Sidonius Callidus

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