Registriert: Mittwoch 10. Januar 2007, 15:16 Beiträge: 2021 Wohnort: Köln
Darstellung: Pictor
Es möge mir verziehen sein, dass ich den Blogtext fürs Geschichtsforum hier zweitverwende, aber vielleicht interessiert es jemanden:
Letztes Jahr endete die Wanderung in Osterburken. Dieses Jahr stehen wir im Regen dort am Römermuseum und es geht weiter.
Das Kohortenkastell von Osterburken präsentiert sich in der Reklame der Stadt als schön aufgemauertes Fundament, dem nassen und immer nässer werdenden Wanderer zeigt sich der schwärzliche Mauerkranz am Hang als Umgebung eines finsteren und pompösen Kriegerdenkmals, einem gemauerten Obelisken, auf dem zu allem Überfluß noch ein Adler hockt. Hinter Osterburken zieht sich der Limes-Wanderweg über eine glatte Asphaltpiste aus der Stadt hinaus, an einem Stück nachempfundener Palisade und Wall/Graben vorbei in Richtung Wald. Daneben ein Stück einzigartig blöde moderne Kunst. Nach ein paar Kilometern stellen wir fest, dass man nicht gerne einem Wegweiser vertraut, der einen vom schönen Asphaltweg fort hinein ins nichts dirigiert. Wir glauben dem Schild nicht und landen in "Adventon", dem "Histotainment-Park" bei Osterburken. Patschnass mittlerweile und auch durchgefroren (warum haben wir erst im Herbst einen passenden Termin für drei Brüder und einen Vater gefunden?) stellt sich die Frage: weiter oder nicht; der Regen lässt nach, wir gehen weiter.
Jetzt sollte eigentlich eine sichtbare Mauer erscheinen, tut sie aber nicht. Stattdessen ein Schild, das der eigentliche Wanderweg wegen Windbruch umgeleitet sei. Die Karte behauptet, dass wir auf dem eigentlichen Wanderweg seien â€" aber die Karte sieht älter aus als der Vater (und sehr viel vertrauensunwürdiger), die kleinen Wanderweg-Plaketten an den Bäumen sind mehr nach dem Zufallsprinzip verteilt und in einem Fall sogar irreführend. Statt dem eingezeichneten Turmrest steht da schon wieder blöde Kunst. Muss das sein? Hätte man nicht statt dessen den Weg besser ausgebaut? oder wird die Kunst aus einem, der Weg aus dem anderen Säckel bezahlt? Wütend stampfen wir weiter, nunmehr kann man fast den Weg nicht mehr erkennen â€" wir arbeiten uns durch eine mit Plaketten bezeichnete Unterholzregion voller urwaldartigem Bewuchs. Dann plötzlich wieder glatte Piste, die Wanderschuhe nehmen Fahrt auf â€" und schießen an einer Abzweigung vorbei, die irgendwo links ins Gebüsch geleitet hätte. Ohne Schild, natürlich, wir merken es erst wieder am Fehlen der kleinen Plaketten.
Wir geben es dran und beschließen, nun dem Fahrradweg zu folgen. Der leitet runter in das Dorf Leibenstadt; dort erwischen wir mit knapper Not einen Bäckerwagen, und die Feuerwehr, fleissig mit Vorbereitungen für ihr Sommerfest beschäftigt, spendiert einen Kaffee. Wir trocknen so halbwegs, die Lebensgeister sammeln sich, und es kann weitergehen. Obstbäume werden nun immer wieder unsere Begleiter bis runter nach Öhringen. Unter der Last tausender Äpfel sich biegende Bäume, ungeerntet geschweige denn gesammelt, leere Dörfer ohne Wirtshaus, ohne Laden, hohl und leer wie die Carports der Fertighäuser â€" die ganze Verlassenheit, Einsamkeit, Gottverlorenheit der Dörfer, die sich im grauenhaften Wort UNRENTABILITÄT zuspitzt, trifft uns wie eine Keule. Noch hat jedes Dorf eine Kirche und eine Feuerwehr, und zumindest die letztere ist - sehr zu Wolfgangs, des Feuerwehrmanns, Entzücken â€" noch mächtig in Betrieb. Aber die Leere der Wege, der Dörfer, der Häuser ist beängstigend. Denn: wenn man hier heute nicht tot überm Zaun hängen möchte, so erzählt doch jeder Stein noch von den alten Tagen, an denen man hier noch lustvoll und gemeinschaftlich in harter Arbeit, einfachem Leben und enger Verbundenheit überm Zaun hing.
Bei Unterkessach verbinden sich wieder Fahrrad- und Wanderweg, und wir konzentrieren uns aufs Etappenziel Jagsthausen. Die Dörfer prahlen mit fetten Kürbissen, beliebtes Motiv für fotografierende Brüder und Väter, und aus einem Haus stürzt sogar eine Frau und ruft "Das müssen Sie fotografieren, warten Sie, ich mache Ihnen die Scheune auf!" In der Scheune: 90 Sorten Kürbisse, insgesamt wahrscheinlich 1000 Stück, ein Panoptikum des Kürbistums, vom netten kleinen Hokkaido bis zum beängstigenden Alien-Ei, das nur die Bäuerin anzufassen wagt.
Bruder Stefan schaut sehnsuchtsvoll nach Pilzen, Wolfgang und ich plündern die Apfelbäume bis wir nicht mehr können. Jagsthausen erscheint fast unbemerkt und zeigt das "Weisse Schloß" durch herbstliche Bäume. Dort wird Hochzeit gefeiert (weshalb fast alles im Ort ausgebucht war). So viele Übernachtungsplätze hat das ehemalige Touristenstädtchen auch nicht mehr: neben dem Schlosshotel mit Niveau, Preis und Hochzeitsgesellschaft gibt es noch eine Gaststätte mit Übernachtungsmöglichkeiten, ansonsten nur Ferienzimmer (davon aber viele). Idyllisch ist das Städtchen volles Rohr. Von ein paar käsigen Aufhübschungen aus den 90ern abgesehen ist Jagsthausen ein wirklich schöner Ort mit markanten Häusern, einem engen und geduckten Kern, dem majestätischen und trotzdem bescheidenen Schloss und einer sehr romantischen Jagst, die sich â€" bevölkert mit Enten, Reihern und einer fetten Gans â€" im Tal um den kleinen Ort windet, der aus dem Kastell der Cohors I. Germanorum entstand. Wir kommen in himmlischen Ferienzimmern unter, direkt neben einem "Römerbrunnen", mitten im Vicus des Kastells. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt ein sehr schönes Römerbad, das â€" noch schöner! nicht etwa ausgegraben wurde, sondern nur ansatzweise aufgedeckt â€" und wieder zugeschüttet, die Mauern stehen über den Resten. Das Kunststück ist gelungen â€" Ruinen zum ansehen und anfassen, und trotzdem ist der Befund unangetastet. eine Auswahl von Kopien von Weihesteinen und eine Jupitersäule machen daraus einen schönen kleinen Freiluftpark. Dieser schöne Platz ist bewohnt von frechen und netten Landkatzen. Von nun an gutes Wetter und ein opulentes Abendessen im Restaurant "Zum Ochen" versöhnen uns endgültig mit dem Schicksal.
Viel Limes hatten wir nicht an diesem ersten Tag, von den "Highlights" in Osterburken und Jagsthausen abgesehen gab es zwei mehr schlecht als recht identifizierbare Schutthügel und einen aufgemauerten Turmrest. Der Weg war überwiegend gut ausgeschildet, aber ausgerechnet an kniffligen Punkten schlecht, sodass wir schon an Sabotage glauben. Darüber hinaus erforderte die Wegbeschaffenheit schon außerordentliche "Geländegängigkeit", Kinderwagen, Rollstühle und Nordic Walker wären irgendwo "in the middle of nowhere" steckengeblieben. In Jagsthausen sollte eigentlich auch ein Stück Limes im Gelände sichtbar sein, aber da ist nichts. Angeblich sollen nun auch drei sichtbare Wachtturmstümpfe entlang des schnurgraden Fahrradwegs liegen â€" wir finden einen, und der Weg schlängelt sich wie eine Blindschleiche. Die nächste bemerkenswerte Station ist das signifikant benamte Pfahlbach, wo ein merkwürdiger Brunnen mit Legionärssilhouette aus Blech zur Rast einlud. Sonst nichts. Auch dieses Dorf ausgestorben bis auf einen Haufen Meisen, die sich unter einer Buche amüsierten.
Hinter Pfahlbach bekamen wir dann doch unsere verdiente Dosis Limes für diesen Abschnitt.
Über ein paar hundert Meter hinweg blieb der Wall fast in Originalgröße erhalten. Der Wanderweg führt auf der Krone entlang, auch den Graben kann man ahnen (es sieht aus, als wäre Germanien tiefer gelegen als das römische Reich). Dieses kurze Stück Limes muss wohl 1800 Jahre im Wald gelegen haben, ohne irgendeine Nähe zu land- oder forstwirtschaftlicher Nutzung. Nach den vielen mehr oder weniger überzeugenden Palisaden- und Wall/Grabenrekonstruktionen bei Walldürn, bei Osterburken wird klar, dass das Original von nichts zu schlagen ist. Allein wegen dieses großartigen, phänomenalen Stücks Wall hätte sich die Reise gelohnt.
Vom letzten Punkt dieses uralten Walls schaut man aus dem Wald heraus über die Hochebene von Hohenlohe bis Öhringen und die dahinter liegenden Hügel. Wie abgerissen hört der Limes auf und beginnt ein Feldweg, bald hört auch dieser auf und der Limes verschwindet auf nimmerwiedersehen in einem Maisfeld. Das angeblich sichtbare Kastell Westerbach liegt irgendwo rechterhand, manierliche Wege führen nun nach Öhringen, die Wanderroute führt aus irgendwelchen Gründen weg vom Limes, der hinter der A 81 immerhin noch einen schön aufgemauerten Turmrest zu bieten hat (wenn auch das angeblich sichtbare Stück Limes von einem massiven Block fetter Vorstadtvillen versteckt wird). Wir sind in Öhringen, die Wanderung ist für dieses Jahr zu Ende.
Und nächstes Jahr geht es von Öhringen nach Murrhardt.
_________________ VLG T.M.P./J.H.
Zuletzt geändert von Tertius Mummius am Dienstag 16. Juni 2009, 13:59, insgesamt 1-mal geändert.
Registriert: Montag 5. September 2005, 18:47 Beiträge: 3128 Wohnort: Swisttal
Kriegen wir ein paar der Bilder zu sehen? Wie immer ein sehr kurzweiliger Bericht, wobei ich fast glaube, dass die Wanderung in ein paar Jahren zu wiederholen ist, wenn das Weltkulturerbe auch touristisch erschlossen wurde. Da wird es dann wohl mehr geben, als verschweißtes Metall und mit viel Glück ein wenig Graben. Ob man das dann aber sehen will... Hauptsache ihr habt Spaß an der Sache. Respekt für die Wanderleistung und die unterhaltsamen Berichte.
_________________ Wer war froher als Neanth, da er sich Meister von diesem wundervollen Instrumente sah, wodurch er, ohne das mindeste von der Musik zu verstehen, der Erbe des Talents eines Orpheus zu sein glaubte! - Lukian
Registriert: Montag 5. September 2005, 18:47 Beiträge: 3128 Wohnort: Swisttal
So verstehe ich was du mit Beschilderung meinst. Als AUßenstehender finde ich das sogar wieder witzig
_________________ Wer war froher als Neanth, da er sich Meister von diesem wundervollen Instrumente sah, wodurch er, ohne das mindeste von der Musik zu verstehen, der Erbe des Talents eines Orpheus zu sein glaubte! - Lukian
Anscheinend werde ich nicht nur älter, fauler und dicker sondern auch wortlastiger. Musste den Blogeintrag entzwei sägen um ihn um die Maximalgrenze zu biegen. Sowas ...
_________________ Ein Genie lernt alles, von jedem. Der Intelligente lernt vom Genie und aus seinen Erfahrungen. Der Dumme lernt nichts...., er weiß alles besser.
Registriert: Sonntag 12. Oktober 2014, 12:41 Beiträge: 1
Darstellung: Limes
Hallo Flavii-Freunde,
ich bin den ganzen Limesweg von Rheinbrohl (Rhein) nach Eining (Donau) gewandert (und dieses Jahr noch den Hadrian´s Wall path). Die Berichte von Tertius Mummius über seine Erfahrungen sind geistreich geschrieben und herrlich zu lesen. Genauso habe ich den Limesweg erlebt. Im Gegensatz zu den zertifizierten Wanderwegen und Premiumsteigen ist der Limeswanderweg touristisch noch in den Kinderschuhen. Dabei halte ich die 700 km (einschl. Verlaufen) entlang des Limes für einen der bedeutendsten Kulturwanderwege Europas. Während man nach Santiago die letzten km im Gänsemarsch wandern muss, trifft man am Limes mitten durch Deutschland nur Waldarbeiter und Gassigänger.
Wer nähere Informationen über den Limeswanderweg sucht, findet auf meiner Webseite http://www.limeswanderweg.de viele Bilder, Hinweise und Google-Wanderkarten für die eigene Planung.
Ich bin jetzt auf dem Weg nach Rom (2014 bis zum Zürichsee), um dem Kaiser über meine Inspektion der Grenzen des römischen Imperiums zu berichten
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Dateikommentar: Ankunft in Castra Regina Foto: Michael Körner IMG_2087.JPG [ 291.51 KiB | 35415-mal betrachtet ]
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