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BeitragVerfasst: Montag 6. April 2009, 18:33 
Togatus
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N’abend,

eigentlich finde ich die Kriterien für die österreichischen Kulturvermittler noch recht moderat - und vor allem offen gehalten. Von Punkt 1 abgesehen, dass des als Beruf ausgeübt werden muss (was durchaus logisch ist: es erlaubt dem Vermittler sich voll auf seine Aufgabe zu konzentrieren und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass er seinen Auftrag erfolgreich ausführt), sind alle weiteren Berufsqualifikationen lediglich wünschenswert.

Das klingt wesentlich entspannter als z.B. die Qualitätskriterien für Vermittlungsarbeit in Museen, die der Deutsche Museumsbund 2008 aufgestellt hat: Hier ist ein Hochschulabschluß in einem relevanten Fach obligatorisch (S.19):

"Zu den formalen Voraussetzungen einer hauptberuflichen Fachkraft im musealen Bildungs- und Vermittlungsbereich gehört ein akademischer Abschluss in einem fachwissenschaftlichen, kommunikationswissenschaftlichen, museologischen oder erziehungswissenschaftlichen Fach.

Das Fachwissen rekurriert je nach Art des Museums auf natur- oder technikgeschichtliche, geistes-, oder kulturwissenschaftliche Fächer. Die museologischen Kenntnisse beziehen sich auf die Institution Museum, deren vielfältige Aufgaben, Sparten, Organisationsstrukturen und Träger. Basiswissen in Allgemeiner Pädagogik, die Kenntnis verschiedener Lerntheorien und die Beherrschung fachdidaktischer Methoden sind grundlegend für die direkte Arbeit mit den Besuchern/innen."

http://www.museumsbund.de/cms/fileadmin/geschaefts/dokumente/varia/Qualitaetskriterien_Museen_2008.pdf

Ausgesprochen positiv finde ich an dem österreichischen Papier, dass er besonderen Wert auf den Nachweis eines funktionierenden didaktischen Konzepts legt - das ist meiner Meinung der zentrale Schlüssel zu einer erfolgreichen Vermittlungstätigkeit und findet in dem österreichischen Konzept endlich mal die entsprechende Würdigung.

Den Vorwurf des Pfründedenkens halte ich für etwas zu kurz gegriffen. Lehrtätigkeit im Museum - und darum geht es hier - bringt wie der Museumsbund im obigen Zitat betont, eine enorme Verantwortung mit sich und setzt folgerichtig ein hohes Maß an Kompetenz voraus. Um die Qualität der Vermittlungsarbeit zu sichern, haben deshalb beide Organisationen eine Meßlatte angelegt.

Hier drängt sich mir eine ketzerische Frage auf: Wenn wie Falcon schreibt, keine der ihm bekannten reenactment-Gruppen die recht offen gehaltenen österreichischen Kriterien für Kulturvermittler jemals erreichen dürften - worin besteht dann ihre Rolle im musealen Kontext? Und noch weiter gedacht: wieso drängen dennoch so viele Hobby-Gruppen so stark in die Museen?

Grüße,

Andreas

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Montag 6. April 2009, 19:46 
Musica Romana
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Auch eine eine interessante provozierende Frage ist:
Warum wird nach diesem Zertifikat seitens der Veranstalter nicht gefragt?
(Oder kennt jemand jemanden der schon mal - irgendwann danach gefragt wurde?)

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Montag 6. April 2009, 21:47 
Miles Gregarius
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Registriert: Samstag 10. September 2005, 11:57
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Susanna hat geschrieben:
Auch eine eine interessante provozierende Frage ist:
Warum wird nach diesem Zertifikat seitens der Veranstalter nicht gefragt?
(Oder kennt jemand jemanden der schon mal - irgendwann danach gefragt wurde?)



Na ja, da sind wir bei dem Punkt das es neben den akademischen und pädagogischen auch noch andere Ziele gibt, wie z.B. Steigerung von Besucherzahlen und Erzielen von
Einnahmen. Dies sind absolut legitime und richtige Ziele, allerdings trauen sich nur sehr
wenige Museen dies in dieser Diskussion laut zu sagen, denn diesen Effekt kann man
auch mit weniger guten Gruppen erzielen. Und die Einnahmen sind dann sogar ertragreicher weil diese nicht professionellen Gruppen eben auch nicht so teuer sind.
Auch diese Ãœberlegung ist in Ordnung, man sollte sie nur nicht verheimlichen. Das ist es
was ich meinte als ich schrieb das alle Ziele genannt werden sollen.

Nicht jede Veranstalltung hat ein akademisches Publikum als Zielgruppe und ein
Museeums Fest ist eben eine Feier und keine Schulstunde - Die Darstellung der
preiswerten Leiendarsteller sollte nur nichts vollkommen falsches lehren.

Der Grund warum die Laiendarsteller in die Museen drängen ist ganz einfach das Prestige
das damit verbunden ist und das unausgesprochene "Qualitätssiegel" das ein solches
Engagement bedeutet. Alle Gruppen behaupten doch von sich das sie auf
wissenschaftlichen Grundlagen arbeiten und das sie "authentische" Darstellungen
bieten würden. Das Problem dabei ist das die Museen wohl eher auf persönliche
Beziehungen und den Preis achten, als auf objektive Qualitätsmassstäbe. Wobei
letzteres auch extrem schierig wäre, da es eben im Moment keine allgemein anerkannten
Massstäbe gibt.

valete
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Marcus Mentellius Sermonius


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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Dienstag 7. April 2009, 07:35 
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Guten Morgen,
ich kann meinen Vorrednern eigentlich nur zustimmen, eine Einzelperson, die ihren Lebensunterhalt mit der Geschichtsvermittlung erarbeitet soll auch einer nachvollziehbaren Qualitätskontrolle unterworfen sein.
Ich habe in meinem posting von "Darstellungsgruppen" gesprochen, und von denen kenne ich keine (auch die meinige) die diese Kriterien real erfüllen könnte. (Insbesondere die didaktische schriftliche Aufbereitung)

Wir sind noch von keinem Veranstalter nach diesem Zertifikat gefragt worden.

Andererseits betreiben wir für unsere "Museumsveranstaltungen" keinerlei "offensive Werbung" sondern werden von Veranstalter zu Veranstalter "weitergereicht" (= angefordert/eingeladen) d.h. unsere "Qualität" wird also "hinterrücks intern" bestätigt.

Anmerkung: die Honorarsätze der Österreicher sind ebenfalls runterladbar, falls wir das Zertifikat hätten und nach diesem verrechnen würden hätte kein Museum/Veranstalter mehr Interesse ... (wobei ich persönlich die Sätze für einen Berufstätigen eher am unteren Limit empfinde)

ad Lentullus: das Raufladen eines posting dauert auch bei ausgeschaltenem Virenschutz/Firewall e w i g l a n g e . . .

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>>>wer hier Schreibfehler findet darf diese behalten und auch selbst verwenden<<<


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BeitragVerfasst: Dienstag 7. April 2009, 08:43 
Togatus
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Hallo,

ich bin mir jetzt nicht so sicher, ob man sich bei "hinterrücks bestätigter Qualität" durch den Akt der Einladung zufrieden geben sollte, denn wenn wie Marcus schreibt, existieren keine objektiven Qualitätskritierien für Reenacment-Gruppen.

So wäre die Einladung auf ein Museumsfest eben nicht zwingend nur auf "objektive Qualität" zurückführen, sondern es können ganz andere individuelle, museumsinterne Faktoren eine Rolle gespielt haben, die dann auch nicht unbedingt von anderen geteilt werden (Preis, persönliche Bekanntschaften usw.)

Eine Einladung in ein Museum allein ist deshalb meiner Meinung nach eben keine Bestätigung einer wie auch immer gearteten Qualität.

Was mir aber noch nicht ganz einsichtig ist Falcon: warum findest du es richtig, dass Einzelpersonen, die Vermittlung von Kulturgut als Beruf ausüben, einer Qualitätskontrolle unterworfen werden, während du Gruppen, die effektiv (vom Publikum her gedacht) der selben Tätigkeit als Hobby nachgehen, diesen Maßstab nicht anlegen möchtest?

Entweder misst du dann mit zweierlei Maß, oder du marginalisierst die Vermittlungsleistung der Hobbyisten.

Grüße,

Andreas

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BeitragVerfasst: Dienstag 7. April 2009, 09:55 
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Andreas hat geschrieben:
Hallo,

ich bin mir jetzt nicht so sicher, ob man sich bei "hinterrücks bestätigter Qualität" durch den Akt der Einladung zufrieden geben sollte ...
...
Eine Einladung in ein Museum allein ist deshalb meiner Meinung nach eben keine Bestätigung einer wie auch immer gearteten Qualität.

Was mir aber noch nicht ganz einsichtig ist Falcon: warum findest du es richtig, dass Einzelpersonen, die Vermittlung von Kulturgut als Beruf ausüben, einer Qualitätskontrolle unterworfen werden, während du Gruppen, die effektiv (vom Publikum her gedacht) der selben Tätigkeit als Hobby nachgehen, diesen Maßstab nicht anlegen möchtest?
...


Wir, also unsere Gruppe sind z.Zt. mit "hinterrücks bestätigter Qualität" zufrieden.

zur Qualitätsfindung Berufstätiger bzw. Hobbygruppe: das war wohl ein Missverständnis: ich bin sehr wohl für eine nachweisliche, objektive Qualitätskontrolle beider.

Als Hobby/Freizeitgestaltung (das ist für uns sehr wohl die richtige Bezeichnung) sind jedoch "irgendwie noch andere" Kriterien zu finden: die österreichische Auflage der Berufsausübung kann mit Hobby nicht konform gehen, somit fällt dieses Gütesiegel fur uns auch aus ...

Wir wären jederzeit gerne bereit, uns einem "Anforderungskatalog" eines Komitees zu stellen, entsprechen wir diesem nicht so kann das lediglich ein Ansporn sein uns zu verbessern. Kritierien wie gerade die Berufsausübung kann jedoch bei einem Hobby halt nicht zur Anwendung gebracht werden (eigentlich Wiederholung von oben :wink: )

Die "gütegesiegelte KulturvermittlerInn" (= kein eigentlicher Beruf; daher die Suche nach Kontrolle - "wer kontrolliert dann die Kontrollore"?) ist aus der Sicht des Publikums nicht wirklich von einer gediegenen Hobbydarstellung zu unterscheiden. Hier kann und wird von Hobbygruppen (aber auch von "Fachkräften") viel (eigentlich vermeidbarer) Schaden verursacht.

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>>>wer hier Schreibfehler findet darf diese behalten und auch selbst verwenden<<<


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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Dienstag 7. April 2009, 09:57 
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Den Vorwurf des Pfründedenkens habe ich vor allem wegen der Ex-posteriori-Legitimierung gemacht: erste Bedingung für Kulturvermittler ist, als Kulturvermittler angestellt zu sein. So umschreibt man einen Yachtclub oder einen Industriellenverband, aber nicht ein Berufsbild.

Die weiteren Punkte finde ich eigentlich relativ gut, zumal den Passus vom didaktischen Konzept. Das fehlt bei so gut wie allen Darstellern und Darstellungsgruppen; in der Regel der Fälle ist es ein "wir machen was und ihr guckt zu".

Aber die Vorlage eines didaktischen Konzepts bedeutet auch noch lange nicht, dass es gut oder auch nur überhaupt umgesetzt wird. So schlimm es sich anhört, aber der Entertainmentfaktor ist nicht zu verachten bei der Qualitätsdiskussion, wir haben es mit Publikum zu tun, das unterhalten werden will "und dabei was lernen". Nicht umgekehrt. Weshalb in der Tat schauspielerisch-darstellerische Leistung nicht zu verachten ist. Fasse das mal in Papierform und reglementiere es so, dass man mit ein paar Häkchen einen größeren Haken dran machen kann! Das gelingt auch bei keinem Theater- oder Fernsehschauspieler; da regelt das die Buchung und die Nachfrage (fast wie im richtigen Leben auch bei den Darstellungsgruppen).

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 Betreff des Beitrags: Bildung oder Unterhaltung?
BeitragVerfasst: Dienstag 7. April 2009, 17:22 
Togatus
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Hallo Tertius,

wenn du die Punkte 1 und 4 so aufgefaßt hast, ist deine Reaktion durchaus nachvollziebar. Unter dem Vorzeichen der Qualitätssicherung ("Nachfolgende Punkte definieren das Berufsbild und sind notwendige Qualitätsmerkmale") würde ich diese Vorbedingung anders deuten als den beabsichtigten Ausschluß von Personengruppen: Um in einem Job gut zu sein braucht es schlicht Übung. Wenn man mit einem Zertifikat ein gewisses Maß an Kompetenz nachweisen will, dann muss man zunächst diese Kompetenz erwerben. Da es keinen Ausbildungsberuf "Kulturvermittler" gibt, ist ein training on the job ein nachvollziehbare Vorbedingung. Unter Punkt 4 steht nicht, dass man die ganzen 12 Monate explizit nur bei einem Arbeitgeber fest angestellt gewesen sein muss.

Zum Gedanken der Qualitätssicherung passt es auch, das ganze als Berufstätigkeit zu definieren. Kleines Beispiel: die meisten Erwachsenen verfügen heute über einen Führerschein und kennen sich im Straßenverkehr aus - trotzdem sind wir per se noch nicht alle LKW- oder Taxifahrer. Um in diesen Berufen arbeiten zu können, muss man einen zusätzlichen Qualifizierungsprozess durchlaufen, der die spezifischen Anforderungen des Arbeitsfeldes berücksichtigt.

Ausgesprochen interessant finde ich nun die Fragen, wie man die darstellerische Leistung bewerten will und vor allem, wie man die Erwartungen des Publikums erfüllt.

Die meisten Schauspieler besuchen eine Schule, auf der sie die Grundlagen des Spiels erlernen, aber sie verlassen die Schule nicht erst als Oscar-Gewinner. In den USA verlangt eine Organisation, die mit dem Österreichischen Verband für Kulturvermittler vergleichbar ist, u.a. die Einreichung von Videos, welche die Zertifizierungswilligen bei der Arbeit zeigen.

Über Geschmack lässt sich zwar letztendlich schlecht streiten, dennoch gibt es auch hier einfache Kriterien, die erfüllt sein sollten, wie z.B. eine deutliche, klare Aussprache, angemessene Mimik und Gestik usw.

Was das Publikum angeht, so denke ich, dass es zu kurz greift, bei ihm an erster Stelle ein Unterhaltungsbedürfnis anzunehmen, wobei "Bildung" immer nur der ewige Zweite bliebe. In der Debatte um Besucherorientierung und der Öffnung der Museen für neue Vermittlungskonzepte (z.B. Erlebnisorientierung, Events usw.) wurde dieses Pauschalurteil gerne von konservativen Vertretern der Museumslandschaft verwendet.

Zwar ist es nicht zu bestreiten, dass sich die Freizeitgestaltung in den westlichen Gesellschaften immer mehr in Richtung Erlebnis und Event entwickelt. Das wir im Umkehrschluß aber häufig annehmen, die Bildung würde darunter leiden, hängt mehr mit einem veralteten Verständnis des Bildungs- und Museumsbegriffes zusammen.

Tatsächlich ist das Publikum in Museen ausgesprochen heterogen und anhand der wenigen deutschen Untersuchungen, die zu der Frage Unterhaltung versus Bildung im Museum brauchbares Zahlenmaterial geliefert haben (einige davon sind so alt, dass sie gar nicht mehr die aktuelle Gesellschaft abbilden) ist die tatsächliche Erwartungshaltung bei einem Auftritt nur sehr schwer einzuschätzen.

Wenn mich mein Gedächtnis nicht trübt, ergab eine ältere Untersuchung sogar, dass das (ältere) Publikum überwiegend mit einer konkreten Bildungsabsicht ein Museum besucht! Bei diesem Publikum würde man also mit einer unterhaltungs-orientierten Präsentation nicht nur Ablehnung hervorrufen, sondern u.U. auch noch den Ruf des Museums beschädigen...

Unsere eigenen, stichprobenartigen Umfragen nach Auftritten von Rete Amicorum weisen eher darauf hin, dass sich Unterhaltung und Information bei Erwachsenen häufig die Waage halten (ein Museum besucht man eben mit einer anderen Erwartungshaltung als eine Disco). Und tatsächlich setzt sich in der Forschung mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Freizeiterlebniswelten einen wertvollen Beitrag zum selbstbestimmten und lebenslangen Lernen leisten können. Auch Museen und Museumsevents mit Living History sind hier einzuordnen.

Interessanter Weise gibt es bisher kaum publizierte Untersuchungen, die zuverlässige Daten zur Wirkungsweise von einzelnen Living History-Formaten auf das Publikum bieten. Das Living History ein unterhaltungsorientiertes Format sei, ist in der Hauptsache ein in der deutschen Diskussion tradiertes Postulat - aber m.E. nicht ausreichend durch Studien untermauert!

In der amerikanischen Literatur z.B. wird dagegen der narrative oder multisensorische Charakter des Mediums betont, der Rezipienten einen leichten Zugang zu Lerninhalten ermöglicht. Dementsprechend wird Living History in den USA auch zu den museumspädagogischen Mitteln gezählt.

Grüße,

Andreas

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Dienstag 7. April 2009, 21:49 
Miles Gregarius
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salvete

Die österreichische Liste ist eigendlich eine große Enttäuschung, da sie nur zwei
Hauptkriterien beinhaltet: 1. Man muss ein geübter, professionller Kulturvermittler mit einer
entsprechende Aus- und Weiterbildung sein und 2. man muss ein didaktisches Konzept
vorlegen. Ansonsten sind keinerlei objektiv überprüfbare Kriterien angelegt. Ich fürchte
das die Entscheidung ob ein didaktisches Konzept als tauglich angesehen wird wider mal
mehr von subjektiven Merkmalen beeinflusst wird, als von objektiven Merkmalen.

Der Effekt von objektiven Kriterien besteht eben darin das ihre Anerkennung einklagbar
ist, aber eben nur wenn sie vorher die Forderung auch eindeutig definiert war. Genau in
diesem Punkt ist die österreichische Kriterienlisten unzureichend.

valete
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Marcus Mentellius Sermonius


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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Mittwoch 8. April 2009, 08:33 
Togatus
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Hallo wieder,

ein interessanter Aspekt, den du da anreißt, Marcus! Soweit bin ich in der Analyse des Papiers noch gar nicht gegangen.

Wir sollten bei der Kritik aber wohl bedenken, dass der Begriff "Kulturvermittler" hier mehr auf den "konventionellen" museumspädagogischen Betrieb abzielt, und deshalb nicht die Besonderheiten der Living History berücksichtigt.

Dementsprechend konzentriert es sich auf die pädagogischen Aspekte. In diesem Punkt glaube ich, trifft deine Kritik, dass keine objektiven Kriterien genannt werden, nicht wirklich zu. Aus rein pädagogischer Sicht gibt es verschiedene, gut ausdefinierte Lerntheorien , die mehr oder minder gleichberechtigt nebeneinander existieren. Der Kandidat ist aufgefordert, seine "didaktisch-methodischen Strukturen" schriftlich zu begründen. Solange die Prüfungskommission nun nicht aus die-hard-Anhängern einer einzigen didaktischen Denkschule besteht, sollte in diesem Punkt alles in Ordnung sein.

Zusammen mit den weiteren aufgeführten Punkten (Inhaltliche Begründung und Zielsetzung, Zielgruppenorientierung, Organisation, Materialien, Finanzkalkulation) sind erstmal alle wichtigen Gebiete angesprochen, die für eine erfolgreiche Durchführung einer museumspädagogischen Aktion erforderlich sind - zumindest aus Sicht des Auftraggebers!

Allerdings hat Marcus recht, dass
a) aus dem Papier selbst nicht hervorgeht, was der Dachverband als in den genannten Kritierien als "gut" erachtet (steht das vielleicht woanders? Oder soll es schlicht operabel sein?) und
b) b) für Living History-Belange diese Punkte nicht ausreichen

Ich vermisse z.B. den Aspekt der Präsentationsfähigkeiten: ein Vermittlungskonzept zu erstellen ist das eine - es vor Publikum erfolgreich abzuliefern das andere. Auch der konventionelle Führer durch eine Ausstellung muss klare, ganze Sätze sprechen können und darf nicht nur leise vor sich hin nuscheln. Nach solchen grundlegenden Fähigkeiten wird leider nicht gefragt.

Nun ist natürlich die Frage: welche Kriterien über das didaktische Konzept hinaus muss man abprüfen, um einen guten LH-Darsteller zu erhalten?

Tertius‘ Bruder hat letztes Jahr vier Kompetenzfelder vorgeschlagen:

1. Historisches Wissen (kommt bei den Österreichern auch nicht so richtig raus)
2. Materielle Qualität der Ausrüstung
3. Didaktik
4. Präsentationstechniken (am Begriff "theatrale Vermittlungsfähigkeiten" haben sich viele gestoßen, dabei meint es im Prinzip das gleiche: vor Publikum steht man immer irgendwie auf einer Bühne, oder nicht?)

Wer hat noch andere Ideen? Und wenn man einmal alle wichtigen Kriterien identifiziert hat: Wie erreicht man dabei Objektivität?

Grüße,

Andreas

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Mittwoch 8. April 2009, 17:47 
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ich bin gar nicht so im Bilde, was mein Brüderchen so alles ausheckt. Die vier Punkte gefallen mir allerdings sehr gut, vor allem, weil sie eine überschaubare Zahl sind, die für jeden Punkt eine A-D Note beinhalten und so gewissermaßen "4A", "ABDA" etc. Rankings zulassen --- das ist zwar jetzt Marketingsprech, hat aber den Vorzug der leicht zu kommunizierenden Anwendbarkeit.

Die Frage ist natürlich: wer legt diese Kriterien fest. Das könnte ein Dachverband sein, dessen Zusammensetzung so umstritten wäre wie die Entstehung eines Gegenverbandes garantiert (dass manche Römerdarsteller nicht schon Persönlichkeitsspaltung haben, weil sie ihren eigenen, aus sich allein bestehenden Verein nicht mehr mögen, wundert mich etwas).
Das könnte ein Medium sein: welches die Regeln ausgibt zum Selbst-Ranking. Natürlich würde dieses Medium von vielen Gruppen boykottiert und die Kompetenz abgesprochen, aber Gutes setzt sich durch. Konfrontiert mit der Meinung der Vielen und den Gesetzen des sozialen Webs, wirkt bei einigen Gruppen ein aufgeblasenes "4A" sicher so albern wie ein "Ein Herz für Kinder" auf dem SUV.

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Mittwoch 8. April 2009, 21:17 
Miles Gregarius
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salvete

die Kriterienfelder von Prof. Hohlbruck gefallen mir als Ansatz recht gut, man
müsste sie mit konkreten Anforderungen füllen. Vielleicht sollte man einfach mal ein
Brainstroming zu den einzelen Kategoriengruppen machen - mal sehn ob ich
Ostern dazu Zeit habe ...

valete
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Marcus Mentellius Sermonius


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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Mittwoch 8. April 2009, 23:26 
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Marcus Mentellius hat geschrieben:
salvete

die Kriterienfelder von Prof. Hohlbruck ...


Hochbruck.
:mauer:

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Donnerstag 9. April 2009, 08:23 
Togatus
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Hallo!

Ein Selbst-Ranking... eine charmante Idee, aber nach mehr als zehn Jahren Szene-Erfahrung muss ich feststellen, dass das Qualitätsempfinden wirklich seeeehr individuell ist. Für mich genügt oft schon ein schneller Blick auf die Website einer Gruppe um sie sehr genau einschätzen zu können, der durchschnittliche Eventmanger eines Museums (der heute auch nicht mehr zwingend Archäologe/Historiker sein muss!) ohne Szene-Erfahrung wird die entsprechenden Schlüsselreize nicht wahrnehmen. Dadurch verliert ein Selbst-Ranking enorm an Wert. Aber der einfache 4-Buchstabencode ist wirklich schön übersichtlich.

Wer die Kriterien festlegt, das ist natürlich die große Frage. Wir hatten es ja schon auf Seite 1, dass die Interessen der Museen nicht mit denen der Reenactment-Gruppen übereinstimmten müssen. Wenn man also ein System zur Bestimmung der Eignung zum Auftritt im Museum einrichten will, dann sollten dabei auch die entsprechenden Arbeitgeber eingebunden sein.

Allerdings herrscht dort noch große Verwirrung was den ganzen Komplex Living History, Reenactment usw. betrifft - das Thema ist noch zu neu, man kennt die ganzen Spielarten und auch die Möglichkeiten der Methode vielfach gar nicht. Deshalb finde ich es sehr nützlich, dass Tertius‘ Bruder in seiner Freiburger Forschergruppe zunächst mal eine Typologie der Erscheinungsformen erarbeitet, das sorgt in naher Zukunft hoffentlich für mehr Durchblick bei den Entscheidungsträgern und Veranstaltern.

Vielleicht sollten wir die schwierige Frage der organisatorischen Strukturen erstmal zurückstellen, bis die Museen (und auch die Universitäten) als unverzichtbare Partner genügend Informationen über Living History an der Hand haben, um ihre Rolle im Gefüge wahrnehmen zu können.

Gar nicht schlecht wäre es aber jetzt wirklich eine Ideensammlung dazu zu machen, welche konkreten Anforderungen in den vier vorgeschlagenen Kompetenzfeldern geprüft werden könnten. Ende des Monats ist die Tagung in Freiburg bzw. im direkten Anschluß das Waldkircher Museumsgespräch zum Thema "Qualitätsmanagement". Auch mit Blick auf die Bonner Tagung im Juli ist das interessant.

Wichtig wäre dabei zunächst einmal, dass die Anforderungen nicht zu zeitspezifisch sind, d.h. sie sollten auf Römer genauso wie auf SMAler anwendbar sein.

Meine ersten Ideen dazu:

1. Fachwissen
Vielleicht sollte man hier einmal erwägen, nicht einfach Fakten abzufragen (das wird ja sonst ein unendliches Thema), sondern vorallem die grundlegenden Fähigkeiten, die zum Erwerb und zum Umgang mit Fachwissen notwendig sind wie z.B. Quellenkunde und -kritik.

Mir fällt grad ein: Wolfgang meinte mit Fachwissen "historisch/archäologisches Wissen". Für den Anwender ist aber auch ein solides Wissen über Methoden der Living History und ihre Anwendungsgebiete sowie ihre Wirkung beim Publikum notwendig. Allerdings könnte man dieses Wissen auch unter "Didaktik" bzw. "Präsentationstechniken" verorten.


2. Materielle Qualität "ARGH - eine A-Debatte..."
Keinen blassen Schimmer... aber mein Rat: erstmal nicht an Details festbeißen und die Sache mal aus einer anderen Richtung denken. Wie Michael Theren einmal bemerkte: es gibt nur wenige, die ihm bei Pferdeausrüstungen das Wasser reichen können. Und bei Bekleidungsrekonstruktionen gibt es auch nur ein paar TextilarchäologenInnen, die tief genug in der Materie drin sind, um meine Arbeit richtig beurteilen zu können.

Vielleicht nicht die gesamte Ausrüstung abklopfen sondern exemplarisch an einem Ausrüstungsstück bzw. Ensemble den Weg von der Idee, über die Recherche und Rekonstruktion bis zum fertigen Produkt schriftlich dokumentieren, so dass man in der Arbeitsweise erkennt und ob die angewandten Methoden dem Zweck angemessene Ergebnisse produzieren.

3. Didaktik - siehe österreichische Kulturvermittler, scheint mir ein gangbarer Weg zu sein
Zu einem guten pädagogischen Konzept gehört allerdings auch die Ergebniskontrolle. Besucher-Evaluationen haben uns schon nützliche Hinweise zur Programmgestaltung gebracht und uns ermöglicht, das Angebot von Rete Amicorum noch besser auf die Bedürfnisse der Besucher abzustimmen. Und das muss man in aller Deutlichkeit sagen: Der ganze Aufwand mit der Qualitätsdebatte hat nur dieses eine Ziel - eine gute Vermittlungsleistung sicherzustellen. Wer das scheut, sollte sich noch einmal Gedanken dazu machen, warum er in Museen auftritt. Egal ob Hobbyist oder Profi.

4. Präsentationstechniken - Ein weites Feld
In der Living History unterscheidet man zwischen der First- und Third-Person-Darstellung. Je nach Zweck und Gegenstand der Darstellung wählt man zwischen diesen beiden Ansätzen. Für die meisten Zwecke wie z.B. Demonstrationen ist die Third-person die beste Wahl.

Grundlage für beide Formen sind für mich so einfache Dinge wie deutlich und in strukturierten Sätzen sprechen (kein Stoiber-Effekt), eine kräftige Stimme, "Bühnen-Präsenz", sicheres Auftreten.

Dazu treten noch echte schauspielerische Fähigkeiten, wenn die First-person-Methode angewendet wird, die man vor allem für die Illustration abstrakter und komplexer gesellschaftlicher Phänomene benutzt. Denn Living History ist nicht nur die Vorführung von Sachkultur sondern meint auch, die Menschen und ihr Leben zu zeigen. Das in einer angemessen Weise zu tun, ohne dabei den wissenschaftlich gesicherten Boden zu verlassen, erfordert allerdings eine große fachliche Kompetenz (schließt den Kreis zu Kompetenzfeld 1). Ansonsten artet das ganze schnell in wenig produktives aber dafür umso phantasievolleres Improvisations-Theater aus.

Das waren jetzt noch nicht allzuviele konkrete Inhalte, aber die Richtung, in die ich aus meiner Praxis heraus denken würde.

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 Betreff des Beitrags: Re: Qualitätskontrolle
BeitragVerfasst: Donnerstag 9. April 2009, 17:26 
Philosoph
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Hmm, interessant.

Mit der "Qualität" kommt man nämlich echt in ein Spannungsfeld von Pedanterie und Pragmatik: viele wirklich gute Leute, die dem Publikum das Rom vom Himmel holen, können sich teure handgefertigte Ausrüstungsgegenstände gar nicht leisten.

Und ich erinnere mich immernoch mit Unbehagen an den Sommer 1997, ich stehe mit amerikanischen Freunden in einem 10.000-Reeanactor-Lager der Unionsarmee in Shiloh, freue mich des Lebens und registriere verwundert, wie ein Mann vor mir in die Knie geht und meinen Hosensaum berührt.
"Na" dachte ich, "der geht aber in seiner Begeisterung für echte Deutsche im amerikanischen Bürgerkrieg wirklich weit."
Dabei handelte es nur um einen Experten in amerikanischer Uniformkunde, der meine umgenähten Hosensäume kritisieren wollte. Mensch!!

Was ich zum Ausdruck bringen möchte: das Phänomen des "Button-Pissers", der also seine Bronzeausrüstung zwecks Patinaerzeugung ins Urinbad legt, haben wir auch. Klar ist es wichtig, historisch akkurat und vor allem homogen aufzutreten -- also keine Prätorianer am Limeskastell, keine Spatha am Balteus des republikanischen Soldaten -- aber sobald der Detaillierungsgrad eine nicht mehr nachvollziehbare Größe verlässt, macht es keinen Spass mehr. Natürlich ist die Frage, was ist nachvollziehbar, aber ich denke schon dass sich hier eine Lösung finden lässt.

Ich nehme mir mal die vier Punkte in deiner Ausarbeitung, Andreas, mit, und versuche da ein paar Parameter zu finden. Mal sehen - vielleicht starten wir hier einfach eine neue Untergrund/Übergrundbewegung wie die Aachener Erklärung ... möglich wäre es schon.

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